Algerien:"Gehen heißt gehen"

Lesezeit: 2 min

Die Verschiebung der Präsidentschaftswahl auf unbestimmte Zeit treibt viele Studenten wieder auf die Straße. (Foto: Ryad Kramdi/AFP)

Die landesweiten Proteste dauern nach Bouteflikas Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Präsident weiter an.

Von Paul-Anton Krüger, München

Die Nacht gehörte dem Jubel, mit Autokorsos und Nationalflaggen feierten die Menschen in Algerien den Verzicht von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika auf eine fünfte Kandidatur. Dafür hatten sie wochenlang zu Hunderttausenden demonstriert. Aber schon Dienstagmorgen gingen die Proteste in Algier und anderen Städten weiter. Der Staatschef hatte am Abend zuvor zwar verkündet, entgegen seiner ursprünglichen Pläne nicht wieder anzutreten bei der für den 18. April geplanten Wahl. Zugleich verlängerte er aber de facto seine Amtszeit. Denn nun solle eine unabhängige Kommission bis Jahresende eine Reform der Verfassung erarbeiten, die dann dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werde. Erst dann soll ein neuer Staatschef gewählt werden. Zwar hat Bouteflika eine Übergangsregierung angekündigt - doch er selbst will offenkundig einstweilen im Amt bleiben, auch über das Ende seines Mandats am 26. April hinaus. Und ein neues Datum für die Wahl gibt es nicht.

Die Ernüchterung am Morgen danach spiegelt sich in den Schlagzeilen der unabhängigen algerischen Medien. "Bouteflika verlängert sein viertes Mandat" titelt El Khabar. Die liberale französischsprachige Zeitung El-Watan konstatiert: "Bouteflika geht, das System bleibt!", spricht gar von einer "letzten List" des Präsidenten. Und die Internetplattform Tout sur l'Algérie schreibt: Bouteflika strebe einen Wandel an, der von der Machtclique gesteuert wird, die bisher schon aus dem Hintergrund die Geschicke des Landes bestimmt habe, von den Algeriern nur " le pouvoir" genannt. Diesem undurchsichtigen Geflecht gehören hohe Vertreter des Militärs und der Geheimdienste an, Berater wie zwei Brüder Bouteflikas oder Parteifunktionäre der regierenden Nationalen Befreiungsfront (FLN) und Geschäftsleute, die ihren Reichtum nicht selten staatlichen Aufträgen für Infrastrukturprojekte verdanken.

Auch weisen Kommentatoren darauf hin, dass das jetzige Vorgehen gegen die Verfassung verstoße. Neben Bouteflika hatten sich 18 weitere Kandidaten für die Wahl registriert, der Verfassungsrat hätte bis Donnerstag entscheiden müssen, welche Kandidaturen er zulässt. Allein aus der Tatsache, dass sich der Kandidat der FLN zurückzieht, die seit Jahrzehnten die Politik in Algerien dominiert, ergibt sich nicht zwingend, dass der Urnengang nicht abgehalten werden kann - nur dass die Regierungspartei dann ihre Macht zwangsweise verlieren würde. Allerdings hatten auch führende Parteien der zerstrittenen Opposition zum Boykott der Wahl aufgerufen und keine Bewerber nominiert.

In ihren Befürchtungen bestätigt dürften sich Kritiker des Regimes dadurch sehen, dass Veteranen der algerischen Politik mit engen Verbindungen zur FLN den Übergang organisieren sollen. Die unabhängige Kommission zur Überarbeitung der Verfassung soll Lakhdar Brahimi leiten. Der 85-jährige Diplomat war von 1991 bis 1993 Außenminister seines Landes und bekleidete anschließend eine Reihe hoher Ämter bei den Vereinten Nationen. Er genießt in Algerien hohes Ansehen, offen ist aber, ob ihn die junge Generation als ehrlichen Makler akzeptiert. Der außenpolitische Berater Bouteflikas, Ramtane Lamamra, von 2013 bis 2017 Außenminister, wurde zum stellvertretenden Premierminister ernannt. Der 66-Jährige soll in der Übergangsregierung eine zentrale Rolle spielen. Er wird auch als möglicher Nachfolger für Bouteflika gehandelt.

Lamamra bezeichnete Bouteflikas Rückzug als "wichtigsten Wendepunkt" in der Geschichte Algeriens seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962. Er versprach, es werde eine "kompetente Regierung" gebildet, die das Vertrauen der Verfassungskommission genieße. An deren Arbeit sollen sowohl bekannte Veteranen des Unabhängigkeitskrieges beteiligt werden als auch Vertreter der Protestbewegung. In der Übergangszeit soll dann ein Nachfolger für Bouteflika gesucht werden. Dabei wird das mächtige Militär entscheidend mitzureden haben. Die Armeeführung soll aber bereit sein, einen Zivilisten im höchsten Staatsamt zu akzeptieren, hieß es in Algier. Westliche Diplomaten äußerten die Hoffnung, dass ein gewaltfreier politischer Übergang nun möglich sei. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begrüßte Bouteflikas Rückzug und mahnte an, die Übergangszeit müsse "angemessen" sein. Den Demonstranten dürfte er damit aus der Seele gesprochen haben. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift: "Gehen heißt gehen!"

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: