Air Berlin:Harte Landung

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Air Berlin war bis zur Insolvenz im August 2017 die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Einstige Mitarbeiter der 2017 pleitegegangenen Fluggesellschaft versuchen, vor dem Bundesarbeits­gericht Geld zu erstreiten. In früheren Instanzen waren sie gescheitert.

Von Detlef Esslinger, München

Was ist für die Arbeitnehmer noch herauszuholen, nachdem ihre Firma pleite gegangen ist? Diese Frage, die sich stellt, seitdem es Pleiten gibt, beschäftigt in den kommenden Wochen besonders etliche der früheren Beschäftigten von Air Berlin. Die Fluggesellschaft hatte im August 2017 Insolvenz angemeldet. Mehr als 6000 Menschen verloren damals ihren Job, fast 2500 von ihnen zogen vors Arbeitsgericht. An diesem Dienstag sowie an zwei Tagen im Februar geht es nun für die ersten Kläger bereits in die letzte Instanz: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt befasst sich mit ihnen.

Zum Auftakt liegt dem Ersten Senat von Gerichtspräsidentin Ingrid Schmidt die Klage einer Flugbegleiterin vor. Diese will eine Abfindung erstreiten. Ihr Hebel ist eine Besonderheit im Luftverkehr: Die Mitbestimmung des fliegenden Personals wird weniger durchs Betriebsverfassungsgesetz als durch einen Tarifvertrag geregelt. Im Fall von Air Berlin sah dieser vor, dass im Fall einer Stilllegung Arbeitgeber und Personalvertretung über einen Interessenausgleich verhandeln müssen. Versucht der Arbeitgeber solche Verhandlungen nicht einmal, können entlassene Arbeitnehmer ihn auf eine Abfindung verklagen. Genau diesen fehlenden rechtzeitigen Versuch wirft die Flugbegleiterin dem Insolvenzverwalter vor. Drei parallele Verfahren dazu stehen im Ersten Senat an. Das Urteil dürfte am Nachmittag kommen.

In drei Wochen, am 13. Februar, wird sich der Sechste Senat - der speziell für Kündigungen nach Insolvenzen zuständig ist - mit der Klage eines Flugkapitäns beschäftigen. Mit der Personalvertretung der Piloten hatte Air Berlin den vorgesehenen Interessenausgleich im November 2017 geschlossen. Dem nun klagenden Piloten geht es daher nicht um Abfindung. Sondern er ist der Meinung, ihm hätte gar nicht betriebsbedingt gekündigt werden dürfen. Er argumentiert, grob gesagt, da Air Berlin Teile der Firma sowie Flugzeuge verkaufte, sei der Betrieb gar nicht vollständig stillgelegt worden - beziehungsweise nur in Etappen. Deswegen hätte es bei den Kündigungen eine Sozialauswahl geben müssen. Der Mann, Jahrgang 1969, setzte offensichtlich darauf, auf diese Weise zumindest noch eine Zeitlang bleiben zu dürfen - und folglich dafür Gehalt zu bekommen. Auch hier gibt es Parallelverfahren; insgesamt acht.

Der dritte Verhandlungstag wird am 27. Februar sein, und zwar vor dem Achten Senat. Zu dessen Zuständigkeit gehören sogenannte "Betriebsübergänge", die auch an den beiden anderen Tagen eine Rolle spielen. Dieser Begriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmt, dass nach dem Übergang eines Betriebs von einem Inhaber auf den nächsten dieser neue Inhaber die Arbeitsverhältnisse dort übernimmt, mit allen Rechten und Pflichten. Auch hier handelt es sich beim Kläger, über den das BAG vorab informierte, um einen Flugkapitän; auch hier gibt es Parallelverfahren, nämlich zwei - und der Fall ist im Grunde derselbe wie der des oben genannten Piloten.

Einer der Kläger argumentiert, der Betrieb sei nie vollständig stillgelegt worden

Auch dieser Kläger, Jahrgang 1965, findet, der Betrieb sei nie vollständig stillgelegt worden, sondern in Teilen auf die Käufer von Flugzeugen sowie Tochterfirmen übergegangen. Also hätte es eine Sozialauswahl geben müssen; anders gesagt: Ihn hätte es nicht erwischen dürfen. Bisher waren die Air-Berlin-Mitarbeiter, über die nun das BAG entscheidet, alle erfolglos: Von den Vorinstanzen in Düsseldorf und Berlin wurden ihre Klagen zurückgewiesen.

Wer nun fragt, was eigentlich der Unterschied zumindest zwischen den diversen Piloten-Fällen ist, dem lässt sich nur eine Antwort geben: keiner. Exakt das verleiht der ganzen Sache aber eine gewisse Pikanterie. Bei welchem BAG-Senat ein Fall landet, das hängt immer auch davon ab, worauf Arbeits- und Landesarbeitsgerichte in ihren Urteilsbegründungen den Schwerpunkt legten. Und da das Landesarbeitsgericht Düsseldorf mehr mit der Insolvenz, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mehr mit dem Betriebsübergang argumentierte, landen nun im Prinzip identische Fälle im Abstand von zwei Wochen vor zwei verschiedenen BAG-Senaten.

Das ist eine Konstellation, die unspektakulär enden oder zu Stress führen kann - Letzteres dann, falls am 13. Februar der Sechste Senat meint, eher die Frage von Betriebsübergang oder -stilllegung prüfen zu müssen, und nicht Dinge aus dem Insolvenzrecht. Falls er dabei zu einer Meinung gelangt, die dem Achten Senat zwei Wochen später nicht passt, der aber für diese Frage die Hoheit reklamiert, dann müsste der Große Senat zusammentreten, der für solche seltenen Fälle vorgesehen ist.

Umgekehrt gilt: Weisen sie beim BAG nun alle Klagen einmütig ab, wird unter Arbeitsrichtern vermutet, dass damit etliche noch laufende Air-Berlin-Verfahren erledigt sein dürften.

© SZ vom 21.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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