Agrarwende:Unwetterwarnung

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„Umweltpolitik muss sich zuerst an nationalen Gegebenheiten und Bedürfnissen orientieren“, fordert die AfD. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Ausnahmsweise mal einig: Agrarlobbyisten und Umweltschützern graut vor populistischen Parteien.

Von Thomas Hahn, Hannover

Ob dieser Mai wirklich ein Wonnemonat ist, muss sich noch zeigen. Vorerst sieht Albert Schulte to Brinke, Präsident des Landvolks Niedersachsen, ihn vor allem als Geduldsprobe für die Bauern im größten deutschen Agrarbundesland. Der erste Schnitt ist vom Grünland ins Silo gebracht, die Saat ist in der Erde, das Wintergetreide steht. "Man hofft auf passendes Wachstumswetter", sagt Schulte to Brinke und zieht eine durchwachsene Zwischenbilanz, weil zu wenig Regen fiel und kalte Nächte dem Mais zusetzten. Das ist normal, die Landwirte sind den Launen des Wetters ausgesetzt. Aber in diesem Mai kommt eine weitere Unwägbarkeit hinzu: die Europawahl, die letztlich auch eine Abstimmung über die Zukunft der Bauern ist. Die Wahl kann ihnen nicht egal sein, Schulte to Brinke hat einen Aufruf auf der Landvolk-Homepage geschaltet: "Gehen Sie am 26. Mai zur Wahl."

Wer immer noch nicht so genau weiß, warum die Wahl zum Europäischen Parlament am Sonntag wichtig ist, der sollte einen Blick auf jene Politikbereiche werfen, in denen es um nichts weniger geht als um die Existenz des Menschen. Die Ressorts Landwirtschaft und Umwelt wirken manchmal etwas bieder neben den Themen der Wirtschafts-, Innen- oder Außenministerien, die meist im Vordergrund stehen. Aber wahr ist: Ohne die Produktion von Nahrungsmitteln und den achtsamen Umgang mit jener Natur, aus der diese Nahrungsmittel kommen, kann keine Gesellschaft bestehen. Maßvolle Agrar- und Umweltpolitik hält Wasser, Boden und Luft so vital und sauber, dass die Menschen auch in Zukunft gesund davon leben können. Und genau das steht bei der Europawahl auf dem Spiel - weil Rechtspopulisten und -radikale auf dem Vormarsch sind, die den Trend zu einem achtsameren Umgang mit der Natur falsch finden.

Europas Konsumgesellschaft hat viel wiedergutzumachen zum Schutz von Klima und Ökosystemen. Diese Einsicht hat zuletzt die Politik der EU-Kommission und ihres Kontrolleurs, des EU-Parlaments, geprägt. Sie haben darüber gewacht, dass Wirtschaftsinteressen die Natur nicht beliebig beherrschen. Bund und Hansestadt Hamburg zum Beispiel durften die Elbe zum Hafen hin nach langem Streit erst ausbauen, als sie gemäß Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU eine passende Ausgleichsfläche für den Schierlingswasserfenchel geschaffen haben, der im Ökosystem wichtig ist. Die Wasserrahmenrichtlinie beschäftigt Niedersachsens Landwirte, weil deren Düngepraxis aus Sicht der EU noch zu sehr die Gewässer belastet. Und im April hat die EU-Kommission die nationalkonservative Regierung Polens erfolgreich verklagt, weil diese im Białowieza-Urwald Zehntausende Bäume hatte abholzen lassen.

Aber die EU verbietet nicht nur, sie macht auch möglich. Gerade in der Landwirtschaft, dem teuersten Posten im EU-Haushalt. Die Lebensmittelproduktion zu organisieren ist ein Gründungsgrund für die EU gewesen. Heute regelt sie über ihre Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und ihre Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) europaweit einheitlich die Disziplinen der Landwirtschaft. Rund 55 Milliarden Euro an Agrarsubventionen schüttet die EU jährlich aus. Neben der Grundförderung, die jeder Landwirt nach Fläche bekommt, unterstützt sie auch Öko-Landbau und Naturschutzleistungen insbesondere von kleinen Höfen. "Europa ist Vorreiter beim Umweltschutz", lobt Christian Meyer, Fraktionsvize der Grünen im niedersächsischen Landtag und ehemaliger Landwirtschaftsminister.

"Europa ist Vorreiter beim Umweltschutz", lobt der grüne Ex-Landwirtschaftsminister

Aber EU-Anhänger befürchten, dass sich daran etwas ändern könnte, wenn nach der Wahl mehr denn je nationalistische Parteien wie die AfD ins Parlament kommen, die den menschengemachten Klimawandel für das Märchen einer überspannten Naturlobby halten und die EU-Umweltpolitik als Gängelei ablehnen. Im AfD-Wahlprogramm steht: "Umweltpolitik muss sich zuerst an nationalen Gegebenheiten und Bedürfnissen orientieren."

Die Furcht vor den Rechtsradikalen vereint selbst Widersacher. Landvolk-Präsident Schulte to Brinke findet viele Ansprüche des Grünen Meyer weltfremd. Aber dass es für eine maßvolle Landwirtschaft eine gemeinsame Europapolitik braucht, bezweifelt er nicht, denn: "Klimawandel und Erhalt der Biodiversität sind zwei große Themen, die unsere Gesellschaft aktuell intensiv diskutiert." Und Barbara Otte-Kinast von der CDU, Meyers Nachfolgerin im Hannoverschen Agrarministerium, kann viel sagen über EU-Umweltstandards und den Aufbruch ins Zeitalter der Nachhaltigkeit mit mehr Blühflächen, Öko-Projekten und schonender Technologie. "Die Landwirtschaft muss sich neu aufstellen. Wir befinden uns in einem Prozess." Aber ob das EU-Parlament den Fortschritt mitmacht, wenn die Populisten stärker werden? "Ich habe Bauchschmerzen", sagt Otte-Kinast. Zumal der EU-Agrarhaushalt ab 2020 neu verhandelt wird. Bleibt dann noch so viel Geld wie jetzt für den Ökolandbau?

"Jetzt kriegen wir Parteien, die sagen: Klima- und Artenschutz braucht es gar nicht."

"Gerade sind viele Fragen offen." Der Grüne Meyer steht im Foyer des Landtags. Gerade ist eine Aktuelle Stunde zum Bericht der UN über das fortschreitende Artensterben zu Ende gegangen. Die Einigkeit war recht groß im Plenum. Nur der Abgeordnete Stefan Wirtz sagte für die AfD-Fraktion: "So dramatisch ist der Klimawandel nicht, so dramatisch ist das Artensterben auch nicht." Meyer möchte sich gar nicht vorstellen, dass solche Ansichten im EU-Parlament so stark werden, dass sie mit qualifizierter Mehrheit neue Naturschutz-Initiativen torpedieren.

Es beeindruckt ihn, was Brüssel zuletzt geschafft hat. Verbot bestimmter Bienengifte. Verbot von Einwegplastik. So müsse es weitergehen, findet Meyer. Mit zu vielen Nationalisten im Parlament ginge es wohl nicht so weiter. Sie könnten zwar keine Gesetze zurückdrehen, aber Reformen blockieren. "Ein Stillstand wäre fatal", sagt Meyer. "Und wenn die EU-Kommission nicht mehr so viel Druck vom Parlament kriegt bei der Einhaltung der Naturschutzrichtlinien, würde sie sicher auch nicht mehr so streng mit den Nationen umgehen, wie sie das jetzt zu Recht tut."

Christian Meyer ist eine Reizfigur für Agrarlobby und Konservative. Als er von 2013 bis 2017 Agrarminister war, wollten sie ihn loswerden. Sie mögen es nicht, wie konsequent, fast rücksichtslos er seine Vorstellung von einer Agrarwende mit weniger Massentierhaltung und strengen Düngeregeln vertritt. Aber im Prinzip sind sie gar nicht so weit weg von Meyer, zumindest was die Grundlagen betrifft: Es braucht eine europaweite Agrar- und Umweltpolitik. "Unsere Generation kann Klimaschutz und Artensterben noch stoppen. Alle demokratischen Parteien sagen das. Uns Grünen geht das nur nicht schnell genug", sagt Meyer. "Aber jetzt kriegen wir Parteien, die sagen: Nee, Klima- und Artenschutz braucht es gar nicht."

Kaum zu glauben, dass Landvolk-Präsident Schulte to Brinke dem Grünen Meyer einmal recht geben könnte. Aber vor der Europawahl geht das. Die Wahl ist wichtiger, als viele denken, weil die EU die Macht hat, ihre Staaten auf Regeln gegen die schlimmsten Natursünden zu verpflichten. Christian Meyer sagt: "Das ist den Leuten noch nicht so bewusst, dass wir darüber abstimmen, ob es mit der Klimakrise und dem Artensterben so weitergeht."

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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