Kevin Voumele steht ein bisschen aufgeregt vor einer Kirche im Norden Banguis, die Backsteine sind so rot wie die Erde auf den Pisten in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Es regnet, der Schlamm der Straßen gerät in Bewegung; Voumele und das gute Dutzend Pfadfinder vor der Kirche schaffen es dennoch, ihre Uniformen tadellos sauber zu halten.
Es ist ein großer Tag, sie fahren zum ersten Mal seit langer Zeit wieder aufs Land, in eine kleine Gemeinde etwa dreihundert Kilometer entfernt. Es ist eine Reise ins Innere eines Landes, das sich seit einem Jahrzehnt im Bürgerkrieg befindet und das seit der Unabhängigkeit 1960 eigentlich nicht viel anders kannte als Krieg und Chaos.
"Zumindest sind die Straßen wieder sicher", sagt Voumele, 17. Gleich wird sie ein kleiner Bus abholen und in ihr Pfadfinderlager bringen. Sie werden, singen, tanzen und Theater spielen. Sie werden etwas Freude in ein Land bringen, in dem es nicht sonderlich viel zu Lachen gibt. In dem die Pfadfinder aber eine der wenigen Institutionen sind, die funktionieren.
Die Pfadfinder vermitteln sogar zwischen Rebellengruppen
Etwa 20 000 gibt es von ihnen, mehr als UN-Blauhelme, der Friedenstruppe der Vereinten Nationen, die bisher keinen Frieden bringen konnten und bei der Bevölkerung wegen ihrer Untätigkeit verhasst sind.
Anders die Pfadfinder: Sie leisten, was der Staat nicht kann, sie bringen Medikamente in entlegene Gebiete, in die sich die Hilfsorganisationen nicht trauen. Manchmal helfen sie sogar, zwischen den Rebellengruppen zu vermitteln, etwa indem sie Botschaften überbringen.
"Wir sind eine Bewegung für den Frieden", sagt Voumele, der mehr als sein halbes Leben im Krieg verbracht hat. Seit zwei Jahren ist er bei den Pfadfindern, was er besonders mag, sind die Geschichten, die man sich im Lager erzählt. Von einem Leben ohne Krieg. "Außerdem bekommen wir viel beigebracht", sagt Voumele. Sie lernen, wie man einfache Möbel schreinert und Gemüse anbaut, praktische Dinge, die sie im maroden Schulwesen des Landes nicht beigebracht bekommen, die aber helfen, den schwierigen Alltag zu meistern.
Seit 1942 gibt es Pfadfinder in der Zentralafrikanischen Republik. Die französischen Kolonialherren haben die Bewegung importiert - wahrscheinlich, um eine kleine lokale Elite auszubilden, die aber gleichzeitig nicht auf dumme Gedanken kommen soll. Etwa 80 Jahre später sind die Pfadfinder eine der wenigen respektierten Institutionen im Land.
"Wir können uns mit allen Situationen arrangieren."
"Wir sind wie eine Hilfsorganisation, die sich am Aufbau des Landes beteiligt", sagt Bienvenu Denghou-Yanda. Er ist 66 Jahre alt, seit 59 Jahren bei den Pfadfindern und mittlerweile der Generalsekretär der katholischen Pfadfinder. Er steht vor seinem Mitsubishi-Jeep im Garten der Erzdiözese in Bangui und es ist ihm etwas peinlich, dass er gerade von einem privaten Termin kommt und keine Pfadfinder-Uniform trägt. Er gibt aber gerne Auskunft über die Pfadfinder in seinem Land, die es in allen 16 Präfekturen gibt und allen 71 Unterpräfekturen.
Man kann davon ausgehen, dass die Pfadfinder präsenter sind als der Staat. Der hat zwar eine Flagge, eine Nationalhymne, aber trotz Armee und Polizei über große Teile des Landes die Kontrolle verloren. Die Pfadfinder haben viele Krisen und Kriege überlebt. "Wir können uns mit allen Situationen arrangieren", sagt Denghou-Yanda.
Als Unicef 2017 mit einer großen Impfkampagne begann, waren es die Pfadfinder, die in den ländlichen Gebieten von Haus zu Haus gingen und die Skeptiker überzeugten. Als der Papst 2015 zu Besuch kam und die Straßen voll von Zuschauern waren, kümmerten sie sich um die Sicherheit. Sie bringen alte Leute ins Krankenhaus und bringen Eltern bei, wie sie ihre Kinder am besten vor Malaria schützen.
Denghou-Yanda sagt, ihm hätten als Kind vor allem die Uniformen der Pfadfinder imponiert. Der Engländer Robert Baden-Powell hatte ursprünglich den Auftrag, junge Leute fürs Militär zu begeistern, er gründete 1907 stattdessen die friedensorientierten Pfadfinder.
Es fehlt an Geld, der Weltverband will helfen, stellt aber Bedingungen
Jene in der Zentralafrikanischen Republik setzen sich tatsächlich praktisch für den Frieden ein. Im Bürgerkrieg geht es dort vor allem um Geld und Macht, manchmal aber auch um Konflikte entlang der Religionen. Als 2017 eine muslimische Gemeinschaft in den Wäldern bei Boda von bewaffneten Gruppen als Geisel genommen wurde, waren es die Pfadfinder, die vermittelten, um die Freilassung zu erreichen.
Die Pfadfinder haben protestantische, muslimische und katholische Ableger, letztere sind die deutlich stärkste Gruppe. "Wir versuchen, Respekt vor den anderen Religionen zu lehren", sagt Denghou-Yanda. Immer wieder gehen seine Pfadfinder in Städte, wo Muslime in der Mehrheit sind, besuchen dort die Moschee und laden zum Gegenbesuch.
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Momentan ist das Programm allerdings auf Eis gelegt, weil die Finanzen knapp sind. Auch die Mitgliedsbeiträge für die Weltpfadfinderorganisation konnten die Verbände aus Zentralafrika schon länger nicht mehr überweisen, der Weltverband will aber eine Lösung finden. Dafür müssten aber auch die drei unterschiedlichen Verbände eine Dachorganisation aufbauen, und mehr Mädchen aufnehmen. Daran werde gearbeitet, sagt Denghou-Yanda.
Die Mitgliederzahlen seien zuletzt wieder gestiegen, auch dank der verbesserten Sicherheitslage. In Bangui erscheinen die Pfadfinder vielen als einzige Alternative zu bewaffneten Gruppen und Drogenbanden, als einzige Hoffnung auf Stabilität in einem chronisch unstabilen Land.
Kevin Voumele und die anderen Pfadfinder steigen in den Bus und fahren in ihr Lager. Für sie ist es das erste Mal seit Jahren, dass sie die Hauptstadt verlassen können.