Afghanistan:"Wenn ihr nicht kämpfen wollt, lasst es uns tun"

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Einst wurden sie von den Taliban verfolgt. Nun wehren sich afghanische Minderheiten gegen den Plan der Regierung, die Extremisten einzubinden.

Tobias Matern

Natürlich ist er optimistisch, schließlich ist das Teil seines Jobs. Mohammad Masoom Stanekzai empfängt in seinem Büro in Kabul, das sich mit einer großen, verdunkelten Schiebetür aus Glas schließen lässt. "Berater des Präsidenten für Heimatschutz" ist auf seine Visitenkarte gedruckt; etwas konkreter müsste dort stehen: "Taliban-Beauftragter". Der 50-Jährige ist so etwas wie der Architekt eines Programms, mit dem die aufständischen Taliban in die afghanische Gesellschaft reintegriert und deren Führungsebene an den Verhandlungstisch gebracht werden soll.

Die Auszählung der Stimmen der afghanischen Parlamentswahl dauert noch an. Egal, wie sie ausgeht: Die afghanischen Minderheiten wollen nicht, dass die Taliban künftig in die Politik eingebunden werden. (Foto: AP)

Stanekzai redet ausführlich, will sich aber auch nicht zu genau in die Karten schauen lassen. Angeblich gebe es erste positive Signale von den Taliban, öffentlich könnten sie ihre Verhandlungsbereitschaft jedoch noch nicht zugeben. "Kontakte sind vorhanden, aber dazu kommen auch eine Reihe von Leuten, die es verderben wollen", sagt Stanekzai, der an der britischen Eliteuniversität Cambridge einen Abschluss erworben hat. Die Taliban haben bislang immer durchblicken lassen, der Westen müsse erst seine Truppen aus Afghanistan abziehen, bevor an Verhandlungen zu denken sei.

Dem Ziel, die Islamisten in den politischen Prozess einzubinden, ordnet nicht nur die afghanische Regierung, sondern auch der Westen inzwischen alles unter. Neun Jahre nach dem Einmarsch lautet die neue Formel: "Afghanistan wird nicht so sein wie die Schweiz" - was übrigens auch nie jemand behauptet hat, aber den rhetorischen Rahmen für einen gesichtswahrenden Abzug vorgibt. Zu hören ist dieser Tage in Kabul auch immer wieder, dass ein "Krieg nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Verhandlungstisch" entschieden wird.

Für die Vertreter von Minderheiten des Landes, die gemeinsam etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, ist eine Rückkehr der Taliban eine beängstigende Aussicht. "Sie haben uns mehrere Male massakriert, das werden wir nie wieder zulassen", sagt ein junger Mann, der zur Hazara-Ethnie gehört. Er lebt in Kabul, sein Onkel wurde vor dem Taliban-Regime während des Bürgerkriegs von einer Rakete getötet.

Es war die Zeit in der Hauptstadt, als die Russen den Hindukusch verlassen hatten und sich die rivalisierenden afghanischen Kriegsfürsten von den Hügeln um Kabul aus gegenseitig beschossen. Dass sich die Geschichte wiederholt und ein Bürgerkrieg ausbricht, falls der Westen überstürzt abzieht, halten Beobachter für möglich.

Massive Mobilisierungsmacht

Einer der Kriegsfürsten damals war der Hazara Mohammad Mohaqeq. Er ist inzwischen 54 Jahre alt, hat erst im Dschihad gegen die Sowjetunion und dann etliche Jahre gegen die Taliban gekämpft. Nun ist er Parlamentarier. "Wenn ihr nicht kämpfen wollt", sagt er an die Adresse des Westens und der Karsai-Regierung, "lasst es uns tun".

Von einer Einbindung der Islamisten hält Mohaqeq nur etwas, wenn sie sich in das fragile politische und juristische System des Landes integrieren ließen. Diese Bereitschaft sehe er aber nicht. Die Bemühungen des Präsidenten, die Taliban zu umschmeicheln, empfindet er als Verrat. Der ehemalige Karsai-Verbündete, der sich mit dem Staatschef inzwischen überworfen hat, sei zwar nicht die einzige Stimme, die für die Hazara spreche, sagt eine Expertin. Aber wenn die angestrebten Verhandlungen mit den Taliban in eine Richtung führten, die seiner Ethnie nicht gefielen, habe gerade er eine "massive Mobilisierungsmacht".

Um eine Mobilisierung bemüht sich auch Abdullah Abdullah, der im vergangenen Jahr die von Betrug überschattete Präsidentschaftswahl gegen Karsai verloren hat. Er will ein Oppositionsbündnis aufbauen. Abdullah kämpfte früher ebenfalls gegen die Taliban, die ihren stärksten Einfluss in den paschtunischen Gebieten des Landes haben. Die Paschtunen sind die zahlenmäßig größte Ethnie in Afghanistan, sie stellen etwas mehr als 40 Prozent der Bevölkerung.

"Der Spielraum für Demokraten ist deutlich enger geworden"

Abdullahs Vater ist zwar aus dieser Volksgruppe, seine Mutter aber ist Tadschikin. Daher werden ihn die Paschtunen nie als einen von ihnen akzeptieren. Seiner Ansicht nach ist der "Spielraum für Demokraten deutlich enger geworden". Der Westen ziehe gerade einen falschen Schluss aus den Fehlern der vergangenen neun Jahre. "Der richtige Ansatz wäre es, die Menschen hinter einer gemeinsamen Vision für Afghanistan zu vereinen", sagt Abdullah, der Verhandlungen nicht komplett ablehnt, dafür aber ein Referendum abhalten lassen möchte. "Wenn Karsai die Taliban zurückbringen will, müssen die Leute darüber entscheiden", sagt er.

Auch Rehman Oghly ist skeptisch. Bislang saß er im Parlament, bei der gerade abgehaltenen Parlamentswahl ist der usbekischstämmige Afghane erneut angetreten. Als die Taliban Ende der 90er Jahre auch den Norden des Landes weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hatten, floh er erst nach Turkmenistan, dann in die Türkei, in der er nach eigenen Angaben die Internationale Gesellschaft für afghanische Immigranten führte.

"Wenn der Präsident die Taliban nun öffentlich als seine Brüder bezeichnet, warum sollten die Soldaten dann mit aller Macht gegen sie kämpfen wollen", fragt er. Karsai und der Westen seien mit ihrem Wunsch, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen, auf dem Irrweg. Denn die Aufständischen werden sich seiner Meinung nach nie mit einer Machtteilung zufrieden geben.

© SZ vom 25.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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