Afghanistan:Abstimmung mit vollem Risiko

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Ein Kind hilft beim Verladen von Material für die Wahl, in einem schwer zugänglichen Gebiet in der Provinz Panjshir. (Foto: REUTERS)
  • Die Afghanen wählen an diesem Samstag einen neuen Präsidenten.
  • Die radikalislamischen Taliban, die inzwischen wieder die Hälfte des Landes kontrollieren, warnen die Bürger davor, ihre Stimme abzugeben.
  • Präsident Ghani rechnet damit, schon in der ersten Runde zu gewinnen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Das Risiko, das die Präsidentenwahl in Afghanistan an diesem Samstag überschattet, hat Amtsinhaber und Favorit Aschraf Ghani Mitte September recht unmittelbar erfahren. Er war zu einer Wahlkampfkundgebung in die nördlich der Hauptstadt Kabul gelegene Provinz Parwan gereist. Als die Veranstaltung gerade beginnen sollte, sprengte sich ein Selbstmordattentäter der radikalislamischen Taliban in die Luft. Er war, gekleidet in die Uniform der afghanischen Armee, auf einem Motorrad zwischen die Menschenschlangen vor dem Trainingsgelände der Polizei gefahren, wo Ghani zu seinen Anhängern sprechen sollte. 26 Menschen starben. Der Präsident blieb unverletzt, befand sich aber weniger als einen Kilometer vom Anschlagsort entfernt.

Mehrere Hundert Wahllokale werden geschlossen bleiben - aus Sicherheitsgründen

Die Taliban haben die 9,6 Millionen registrierten Wähler davor gewarnt, ihre Stimme abzugeben. Wahllokale seien legitime militärische Ziele, ließen sie wissen, weil sie von Polizisten, Geheimdienstlern und Soldaten der afghanischen Regierung geschützt werden. 100 000 Mann, etwa ein Drittel der Gesamtstärke aller Sicherheitsdienste und der Armee, bietet die Regierung auf, um die Abstimmung zu sichern. Dennoch werden Hunderte der einstmals vorgesehenen 5300 Wahllokale aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet werden können. Die Taliban kontrollieren inzwischen wieder fast die Hälfte des Landes.

Präsident Ghani sieht in dem Wahlgang dennoch die unverhoffte Chance, seine Macht zu bestätigen und sogar auszubauen, was ihm vor wenigen Wochen kaum jemand in Afghanistan zugetraut hätte. Damals waren die Taliban und US-Unterhändler Zalmay Khalilzad einem Friedensabkommen greifbar nahe. In neun Verhandlungsrunden in Katars Hauptstadt Doha hatten sie sich schon auf einen Textentwurf verständigt, man feilte an technischen Anhängen. Ghani war an all dem nicht beteiligt, weil die Taliban direkte Gespräche mit der Regierung verweigern; sie machten einen Deal mit den USA und einen Zeitplan für den Rückzug aller ausländischen Truppen nach 18 Jahren zur Bedingung. Ein Friedensabkommen hätte wohl zur Bildung einer Übergangsregierung geführt - und der Absage der Wahlen.

Dann allerdings platzte ein von US-Präsident Donald Trump geplantes Gipfeltreffen mit den Taliban in Camp David. Mit diesem kühnen Vorhaben wollte Trump politisch Besitz ergreifen von der Verhandlungsinitiative und zugleich einige noch strittige Themen abräumen: einen Gefangenenaustausch zwischen Taliban und Regierung, dem Ghani nicht zugestimmt hatte, ein erstes Treffen zwischen den Taliban und Ghani, der ebenfalls hätte anreisen sollen. Und eine landesweite Waffenruhe, die neben dem Abzug der US-Truppen auch innerafghanische Verhandlungen hätte ermöglichen sollen. Dann starb bei einem Anschlag der Taliban ein US-Soldat, und Trump blies per Twitter das bis dahin nicht öffentlich gemachte Treffen ab.

Ghani konnte 2014 die Wahl für sich entscheiden - seine Gegner witterten jedoch Betrug

Westliche Diplomaten sagen allerdings, dass Trump damit einer immer wahrscheinlicher werdenden Absage der in Doha ansässigen Taliban-Spitze zuvorkam, die fürchtete, in Camp David in Zugeständnisse hineingenötigt zu werden, zu denen ihre Feldkommandeure in Afghanistan nicht bereit sein würden.

Damit aber war die Präsidentenwahl drei Wochen vor ihrem geplanten Termin auf einmal wieder zentral. Ein kurzer und harter Wahlkampf begann, von dem sich Ghani einen Sieg in der ersten Runde verspricht. Er müsste dafür mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Wichtigster Gegner ist wie schon 2014 Abdullah Abdullah, der sich als Geschäftsführer der Regierung die Macht mit Ghani teilt, vergleichbar mit einem Premierminister. 2014 hatte er in der ersten Runde die meisten Stimmen bekommen, in der Stichwahl siegte Ghani. Allerdings gab es Wahlbetrug in derart großem Umfang, dass die USA die beiden Kontrahenten zu dem Arrangement drängten, obwohl nach der Verfassung der Präsident als Regierungschef fungiert.

Vor Betrug warnt Abdullah auch diesmal, so wie andere der 18 Kandidaten. Ghani werden Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen. Er aber will sich durch die Wahlen ein neues politisches Mandat verschaffen. Das würde es den USA auch schwer machen, ihn bei einer Fortsetzung der Friedensverhandlungen weiter zu übergehen. Der frühere Präsident Hamid Karsai, in Afghanistan immer noch einflussreich und ein Kritiker Ghanis, hält das für gefährlich. Erst müsse es umfassende Friedensgespräche geben, in die neben der afghanischen Regierung auch Russland und China einbezogen werden, sagte er der Nachrichtenagentur Associated Press. Sonst werde das Land in den Abgrund gerissen. Die Afghanen jetzt zur Wahl zu rufen sei, wie "einen Herzkranken zu bitten, einen Marathon zu laufen".

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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