Afghanistan:"Die wähle ich nicht, die trägt ihr Haar zu offen"

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In Afghanistan bewerben sich auch Hunderte Frauen um Parlamentssitze - Robina Jalali ist die auffälligste. Die Ex-Olympionikin lässt sich auch von Überfallkommandos nicht einschüchtern.

Tobias Matern, Kabul

Sie trägt grüne, offene Schuhe mit hohen Absätzen und enge Jeans. Ihr Kopftuch glitzert. Es bedeckt nicht das ganze Haar, in dem eine Sonnenbrille steckt. Die Fingernägel hat sich Robina Jalali lackiert.

Sie lächelt von der Bühne herab, vor allem junge Männer schauen zu ihr auf. Sie wirken belustigt, begeistert, aber auch eingeschüchtert - immer wieder tuscheln sie untereinander. Die meisten von ihnen sind Studenten, und selbst sie scheinen nicht so recht zu wissen, was sie von der selbstbewussten jungen Frau da oben halten sollen.

"Niemals würde ich sie wählen, sie trägt ihr Haar viel zu offen, sie ermutigt damit ja auch andere Frauen, so in der Öffentlichkeit aufzutreten. Das ist im Islam nicht vorgesehen", sagt ein 31-jähriger Zuhörer während des Wahlkampfauftrittes der Kandidatin im Festsaal eines Kabuler Hotels. Schnell schiebt der junge Mann nach: "Sie wird aber sicher trotzdem gewinnen, denn sie ist sehr hübsch."

Die Rede dauert nur ein paar Minuten. Robina Jalali verspricht, sich für die Belange der Jugendlichen einzusetzen, wenn sie es ins Parlament schaffen sollte. Und sie will vor allem eines: "Seit ich auf die Welt gekommen bin, gibt es in Afghanistan nur Krieg, der muss endlich beendet werden."

30 Minuten später sitzt die Kandidatin in ihrem üppig eingerichteten Wahlkampfbüro. Die Kampagne finanziert ihr Vater, sagt sie. Robina Jalali lächelt, so wie sie auch auf den Hunderten Plakaten lächelt, die in Kabul hängen und eine geschminkte Frau zeigen, der eine Haarsträhne ins Gesicht fällt.

406 Kandidatinnen treten bei dieser zweiten Parlamentswahl seit dem Sturz der Taliban an, für sie sind 68 der 249 Sitze im Parlament reserviert. Niemand bekommt so viel Aufmerksamkeit wie Robina Jalali.

Die 25-Jährige war die erste Olympiateilnehmerin aus Afghanistan nach dem Sturz der Taliban, nun will sie ihre Popularität nutzen, um Abgeordnete zu werden. Auf dem Weg dahin stößt sie auf chauvinistische Vorbehalte, aber darauf angesprochen, erzählt sie lieber eine Anekdote aus ihrer Kindheit.

Vorkämpferin für die Gleichberechtigung

Sie habe ihre Eltern regelrecht erpressen müssen, um Läuferin werden zu dürfen: "Ich haben ihnen gesagt, dass sie mich entweder trainieren lassen sollten, oder dass ich nie wieder etwas essen werde", erzählt sie. "Das habe ich ernst gemeint, und meine Eltern wussten das."

Sie hat sich durchgesetzt. Und im Verborgenen trainiert. Denn während des Taliban-Regimes durften Frauen und Mädchen sich nicht allein auf der Straße blicken lassen, geschweige denn Sport treiben.

Von einer Gleichberechtigung sei ihr Land zwar noch weit entfernt, sagt sie diplomatisch, aber auch dafür will sie kämpfen.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat einen Bericht über den afghanischen Wahlkampf geschrieben. Vor allem Frauen waren demnach Gewalt und Einschüchterungen ausgesetzt, etliche Plakate von Kandidatinnen sind mit roter Farbe überpinselt oder zerrissen worden.

Robina Jalali sagt, sie habe eigentlich keinen Wahlkampf mit Personenschützern gewollt, werde ihre Meinung aber vielleicht noch ändern. Denn Unbekannte haben am Tag zuvor mit Gewehrläufen die Scheiben ihrer Wohnung zertrümmert. Sie hat die Männer gesehen, hat sich auch durch Splitter einen Kratzer an der Hand geholt, den sie trotzig zeigt. Immerhin kamen die Nachbarn zu Hilfe und haben die Eindringlinge vertrieben.

"Den afghanischen Medien erzähle ich das nicht", sagt sie. "Wenn hier darüber berichtet wird, ist die Gefahr nur noch größer."

Sie ist sich nicht sicher, ob es Anhänger der Islamisten waren, die nichts von Frauen halten, die in die Politik wollen. Oder vielleicht auch Gefolgsleute einer anderen Kandidatin, die eine Konkurrentin einschüchtern wollten.

"Es spielt keine Rolle, ich werde einfach weitermachen", sagt Robina Jalali, bevor sie das Interview beendet. Ein Team vom Fernsehen wartet schon.

© SZ vom 17.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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