Banken:Nach dem Sieg ist vor dem Kollaps

Lesezeit: 1 min

Zählen, was noch da ist: ein Geldwechsler in Kabul. (Foto: Haroon Sabawoon/picture alliance / AA)

Afghanistan droht nach der Machtübernahme durch die Taliban der wirtschaftliche Zusammenbruch. Viele Menschen haben schon jetzt kein Geld mehr - und das Schlimmste steht erst noch bevor.

Von Claus Hulverscheidt

Trotz aller militärischen Erfolge - ihre größte Aufgabe steht den siegreichen Taliban in Afghanistan womöglich erst noch bevor: der Kampf gegen den wirtschaftlichen und finanziellen Kollaps des Landes. Das belegen nicht nur die Lageeinschätzungen ausländischer Finanzinstitutionen und Ratingagenturen, sondern auch die wenigen Aussagen von Bankmitarbeitern, die derzeit aus Kabul nach außen dringen. Demnach droht dem Land in diesem Jahr nicht nur ein kapitaler Rückgang der Wirtschaftsleistung um bis zu zehn Prozent, sondern auch der Zusammenbruch des Bankensystems und eine schwere humanitäre Krise. "Niemand hat Geld", sagte ein Mitarbeiter der afghanischen Zentralbank dem US-Nachrichtensender CNN. Seit der Machtübernahme der Taliban würden Gehälter teilweise nicht mehr ausbezahlt, viele Familien wüssten nicht mehr, wovon sie Lebensmittel kaufen sollten.

Die Probleme rühren unter anderem daher, dass der Westen seine Entwicklungshilfezahlungen an Kabul gestoppt und die ausländischen Währungsreserven der Zentralbank eingefroren hat. Für ein Land, das sich zu 75 Prozent über Hilfen aus dem Ausland finanziert, ist das fatal. Experten befürchten, dass sich die Lage noch dramatisch zuspitzen wird, sobald die derzeit geschlossenen Banken wieder öffnen. Viele Afghanen könnten dann versuchen, ihr Erspartes vom Konto abzuheben - und feststellen, dass das Geld nicht da ist.

Immerhin erlauben die USA inzwischen wieder private Geldsendungen nach Afghanistan, wie ein Sprecher des Finanzministeriums erklärte. Diese Entscheidung könnte die angeschlagene afghanische Wirtschaft zumindest stützen: Viele Afghanen verlassen sich auf Überweisungen aus dem Ausland, sie machten 2020 etwa 789 Millionen Dollar aus, etwas mehr als vier Prozent der Wirtschaftsleistung.

Der von den Islamisten eingesetzte kommissarische Zentralbankchef Hadschi Mohammad Idris traf sich nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters diese Woche bereits mit Mitgliedern des Bankenverbands. "Sie waren sehr charmant und haben die Banken nach ihren Sorgen gefragt", sagte ein Insider über die Taliban-Abgesandten. Idris habe versichert, dass die Islamisten nach Lösungen für die Liquiditätsprobleme und die steigende Inflationsrate im Land suchten. Wie diese Lösungen aussehen könnten, blieb allerdings ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, welches wirtschaftspolitische Verhältnis zu den USA die Taliban anstreben. Da rund 80 Prozent der von den afghanischen Banken getätigten Transaktionen in Dollar abgewickelt würden, sei diese Antwort von größter Bedeutung. Unklar ist schließlich auch, ob Idris seinem neuen Amt inhaltlich gewachsen ist: Er soll angeblich weder über eine formelle Finanzausbildung verfügen noch jemals eine Hochschule besucht haben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: