Als dann endlich das Ergebnis da ist, wirkt Bernd Lucke erleichtert, er eilt zu Hans-Olaf Henkel, gratuliert ihm, schüttelt ihm die Hand, lächelt in die Kameras. Lucke und Henkel - mit diesem Team zieht die AfD in den Europawahlkampf, das ist die Botschaft, die an diesem Samstag in der Frankenstolz-Arena in Aschaffenburg bei der Basis ankommen soll. Henkel hatte noch zwei Mitbewerber um den zweiten Listenplatz, doch dann entschieden sich die Delegierten auf dem AfD-Parteitag mit 248 von 318 Stimmen für den 73-Jährigen.
Erst vor etwa einem Monat ist Henkel in die AfD eingetreten, er war an der Basis nicht unumstritten. Allerdings hatte er einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern: Parteichef Lucke hatte schon in seiner Eröffnungsrede mit warmen Worten für den früheren Präsidenten des Industrieverbandes BDI geworben. Henkel zeigt sich davon sichtlich geschmeichelt: "Das ist mir in Deutschland in den letzten Jahren nicht passiert", sagt er bei seiner Bewerbungsrede. "Ich fühle mich wohl bei Ihnen, ich habe mir das ja auch ein bisschen überlegt." Und er umwirbt die Delegierten: "Ich kenne keine Partei, wo das Bildungsniveau so hoch ist wie in der AfD, ich habe nicht einen einzigen verrückten Neonazi oder Spinner gesehen."
Das gefällt, die Delegierten klatschen, jubeln, einige stehen auf. Es läuft gut auf diesem Parteitag, besonders für AfD-Chef Lucke, größere Streitereien sind bislang ausgeblieben. Mit seiner Rede konnte Lucke die Mehrheit der Delegierten begeistern. "Ich bin sehr zufrieden", sagt er zu Süddeutsche.de. "Die Stimmung ist gut."
Die Partei stellt an diesem Samstag die Weichen für den Europawahlkampf. Sie hofft darauf, ins Parlament einzuziehen. Denn bei der Wahl am 25. Mai gilt nur eine Drei-Prozent-Hürde, nach einer Emnid-Umfrage für die Bild am Sonntag liegt die AfD derzeit bei sieben Prozent.
Im Vorfeld des Parteitags traten die Grabenkämpfe wieder offen zutage - im Kern geht es um die Ausrichtung der Partei zwischen wirtschaftsliberal über wertkonservativ bis hin zu offen rechtspopulistisch. In den vergangenen Wochen folgte Chaosparteitag auf Chaosparteitag, in Hessen stand der Landesverband zeitweise ohne Vorstand da. Diese Querelen blitzen auch auf dem Parteitag in Aschaffenburg immer wieder auf, zum Beispiel, als ein Kandidat aus Hessen seine Bewerberrede dazu nutzt, die "Stasi-Methoden" innerhalb seines Landesverbands anzuprangern. Von den Delegierten wird er ausgebuht, aus den Reihen der Gäste hingegen erhält er teilweise Beifall.
Zustimmung von enttäuschten Konservativen
Doch im Großen und Ganzen reißen sich die Delegierten zusammen, Lucke schafft es, mit seiner Eröffnungsrede zu begeistern. Er ist in Hochform und reißt Witze auf Kosten von CSU-Chef Horst Seehofer, Bundeskanzlerin Angela Merkel, der SPD. Zu Merkel: "Die SPD stellt den Wirtschaftsminister, die Umweltministerin, die Familienminister, die Bundeskanzlerin ..." Gelächter. "Ach nein, stimmt nicht. Das merkt man bei Merkel nicht immer, aber ich glaube, sie ist für die CDU gewählt."
Das gefällt den enttäuschen Konservativen, die wie Lucke aus der CDU ausgetreten sind, weil deren Politik ihnen zu sozialdemokratisch geworden sei. Sie klatschen, sie jubeln.
Lucke wettert gegen die "Konsenssoße der Altparteien" in der Europapolitik. Es müsse offen über Vor- und Nachteile der EU für Deutschland geredet werden, sagte er. "Mehr Europa ist nicht die Antwort auf Europas Probleme", sagte er. Die Bundesregierung lasse sich von den Krisen in Europa treiben. "Wir brauchen den Mut, offen über Vorteile und Nachteile auch für das eigene Land zu reden", ruft Lucke und erntet dafür viel Beifall von den gut 300 Delegierten.
Und dann gibt er noch das Motto des Europawahlkampfs bekannt: Mut zu Deutschland. Lucke wirft es an die Leinwand: "Mut zu D EU tschland" steht da auf blauem Untergrund, das "EU" umrandet von gelben Sternen. Die Delegierten können sich nicht mehr auf den Plätzen halten, es gibt stehende Ovationen für den Slogan; nur einzelne Delegierte bleiben sitzen, ihre Gesichter sind nachdenklich.
Im wertkonservativen Flügel der Partei dürfte dies als klares Signal verstanden werden. Zwar weist Lucke das im Gespräch mit Süddeutsche.de zurück. Der Applaus habe gezeigt, "dass das Motto von der ganzen Partei getragen wird". Er habe die Parole gewählt, denn: "Ich glaube, dass es richtig ist, sich für die Interessen Deutschlands einzusetzen". Des provokativen Potentials des neuen Slogans ist sich Lucke allerdings sehr wohl bewusst und nimmt das auch gern in Kauf. In seiner Rede sagt er: "Mit dieser politischen Botschaft werden wir im Europawahlkampf den heftigsten Anfeindungen ausgesetzt sein." Einer der Bewerber um einen Listenplatz, vermisst "hier im Saal die Deutschlandfahne". Die hätte noch sehr gut zu dem Motto gepasst.
Parteichef Lucke spielt sein übliches Spiel, und das sehr geschickt: In seiner Rede wettert er gegen die Euro-Rettungspolitik, den Bürokratismus und den Brüsseler Zentralismus, er spricht sich gegen den Euro-Rettungsschirm und gegen die Bankenunion aus und liefert dafür fundierte Kritik. Auch das Demokratiedefizit in der EU prangert er an, alles Positionen, die er mit Argumenten gut begründet, die aber auch anschlussfähig sind an das Rechtsaußen-Milieu. Und dieses bedient er zudem mit einschlägiger Wortwahl, indem er auf die "Altparteien" schimpft und die AfD zur Anti-Parteien-Partei stilisert. Auch dass die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit den AfD-Parteitag zu Werbezwecken nutzt, stört Lucke nicht: Zwar sei die Aktion nicht mit der Partei abgesprochen gewesen. Aber es herrsche Pressefreiheit, somit stehe ihr dies offen.
Bernd Lucke "schafft das"
Die freundlichen Vertreter des ultrarechten Blattes haben kurz vor Beginn des Parteitags Stofftaschen verteilt; darin findet sich die aktuelle JF-Ausgabe mit ganz viel Bernd Lucke darin. Gleich auf drei Seiten geht es um den AfD-Parteitag, auf dem Titel prangt ein Bild Luckes vor einer Europafahne. Die Zeile: "Wir schaffen das." Auf Nachfrage erklärt einer der jungen Herren, dass es eine sehr enge Verbindung zwischen der AfD und der Jungen Freiheit gebe. Nein, die Parteizeitung sei man auf keinen Fall, aber es gebe mehrere Autoren, die in der Partei eine herausragende Rolle hätten. Pressesprecher Konrad Adam zum Beispiel, der sich auch um einen Listenplatz beworben hat. Dann mischt sich JF-Chefredakteur Dieter Stein in das Gespräch ein: "Nicht, dass die SZ noch schreibt, zwischen der AfD und der Jungen Freiheit herrsche Personalunion."
Fakt ist, dass es durchaus personelle Überschneidungen gibt. Auch Hans-Olaf Henkel schreibt bisweilen Beiträge für die Junge Freiheit, er gilt als glühender Verfechter der Thesen Thilo Sarrazins.
Außerdem ist Henkel auch ein großer Fan der Frau, die sich um Listenplatz vier beworben hat: Beatrix von Storch. Sie vertritt im Bundesverband das stramm konservative Milieu, zusammen mit ihrem Mann führt sie den Protestverein "Zivile Koalition", dazu gehört die Internetzeitung FreieWelt.net, auf der sich immer wieder ultrakonservative und homophobe Positionen finden.
Zwar hat Lucke klar gestellt, dass er auf europäischer Ebene kein Bündnis mit Rechtspopulisten wie dem Front National, Geert Wilders oder den britischen Euroskeptikern von Ukip eingehen wolle. Auch auf dem Parteitag rückt er von dieser Position nicht ab. Ukip, die Partei von Nigel Farage, würde in der Zuwanderungsdebatte einen Tonfall anschlagen, "der mir nicht behagt, der die Gefahr birgt, dass Menschen aufgehetzt werden". Die Basis ist einem Delegierten zufolge da aber anderer Ansicht. Man "hege große Sympathien für den Herrn Nigel Farage", erklärt der Mann.