Ägyptens neues Staatsoberhaupt Adli Mansur:Präsident mit Schattenmann

Lesezeit: 4 min

Gerade zwei Tage Chef des obersten Verfassungsgerichts, nun schon Interimspräsident: Adli Mansur ist der ägyptischen Öffentlichkeit kaum bekannt, sein Bild merkwürdig blass. Schon beginnen die Spekulationen. Dient er nur als Aushängeschild des Wandels, während im Hintergrund ein mächtiger General die Fäden zieht?

Von Barbara Galaktionow

In den vergangenen 24 Stunden musste der inzwischen gestürzte ägyptische Präsident Mohammed Mursi viele Demütigungen hinnehmen - diese hier trägt eine besonders bittere Note: Mit Abdel Fattah al-Sisi und Adli Mansur haben plötzlich ausgerechnet zwei Personen die Macht über die Geschicke Ägyptens in den Händen, deren Karrieren er selbst beförderte.

Al-Sisi war immerhin Verteidigungsminister und damit Regierungsmitglied. Doch weil er auch Armeechef ist, agierte er am Ende gegen den Präsidenten: Erst drohte er Mursi mit dem Sturz, dann putschte er ihn weg. Als Nachfolger inthronisierte das Militär den Verfassungsgerichtspräsidenten Mansur, der ausgerechnet in der Amtszeit und mit der Hilfe Mursis Karriere gemacht hatte. Erst am Montag wurde der Jurist turnusgemäß zum Vorsitzenden des Obersten Verfassungsgerichts Ägyptens. Drei Tage später ist er Präsident.

Doch was ist von den zwei neuen starken Männern Ägyptens zu erwarten? Vor allem bei Mansur scheint das recht unklar zu sein. Offenbar ist selbst in Ägypten wenig bekannt: Der 67-Jährige, schreibt der britische Telegraph, hätte wahrscheinlich an einer der gewaltigen Oppositionsproteste der vergangenen Tage teilnehmen können, ohne dass ihn jemand erkannt hätte.

Im Gegensatz zu Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei und Amr Mussa, dem früheren Chef der Arabischen Liga, war Mansurs Name in ägyptischen Oppositionskreisen offenbar nie ein allgemeiner Begriff. Selbst die staatliche ägyptische Zeitung Al-Ahram oder die arabische Nachrichtenseite Al-Dschasira liefern denn auch nur knappe, blass bleibende Porträts Mansurs.

Demnach studierte der inzwischen 67-Jährige nicht nur in Kairo, sondern auch in Frankreich Jura und arbeitete schon unter dem früheren Machthaber Hosni Mubarak für die ägyptischen Justizbehörden. Seit 1992 war er Vizepräsident des Verfassungsgerichts, an dessen Spitze er jetzt rückte. Im vergangenen Jahr legte er als Teil einer Arbeitsgruppe die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die erste freie Präsidentschaftswahl des Landes fest, aus der Mursi als Sieger hervorging. Aus seinem Privatleben ist bekannt, dass Mansur drei Kinder hat.

"Mansur wird keine großen Veränderungen vornehmen"

Über seine politische Ausrichtung lässt sich hingegen, wie es scheint, so gut wie gar nichts sagen. Das liegt zum einen daran, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichts im Namen des gesamten Gerichts veröffentlicht werden, wie die New York Times schreibt. Es sei daher schwierig, die Position einzelner Richter zu bestimmen.

Eine genauere Einschätzung der Persönlichkeit Mansurs lieferte der US-Zeitung ein Politikwissenschaftler von der George Washington University. Mansur arbeite in einem auf Kollegialität ausgerichteten Umfeld, sagte Nathan J. Brown, der Experte für das ägyptische Gerichtswesen ist und der Mansur persönlich kennt. "Mit seinem Hintergrund, seinem Werdegang, seinen persönlichen Neigungen und aufgrund seiner Position sieht er sich selbst wahrscheinlich als jemand, der auf legale Weise tut, was getan werden muss, um den politischen Prozess und das Funktionieren des ägyptischen Staates voranzubringen."

Als Richter habe Mansur versöhnlich und nicht-konfrontativ zu agieren, sagte Brown der Zeitung weiter. Seine Folgerung: "Er wird keine großen Veränderungen vornehmen oder versuchen, in einem aktiven Sinne zu herrschen oder zu regieren oder dem Kabinett etwas vorzuschreiben."

Das muss in dem seit mehr als zwei Jahren von Protesten und Unruhen erschütterten Ägypten nicht das schlechteste sein. Mansur ist politisch unbelastet, eine versöhnliche Linie könnte dazu beitragen, die aufgeheizte Stimmung im Land zu beruhigen. Nach einem machtvollen Präsidenten, der das Land durch schwierige Zeiten führt, hört sich das allerdings nicht an.

Aber vielleicht ist auch genau das der Plan der Militärführung: der Einsatz eines schwachen Staatsoberhaupts. Denn ein solcher würde es dem Militärapparat ermöglichen, aus dem Hintergrund heraus alle Fäden in der Hand zu behalten. Der neue starke Mann in Ägypten wäre dann nicht Interimspräsident Mansur, sondern Armeechef Al-Sisi. Dessen Vorgehen gegen Mursi zeigt, dass er sich nicht vor folgenschweren Entscheidungen fürchtet. Das soll nicht immer so gewesen sein.

So wird berichtet, dass Al-Sisi wie ein Blatt gezittert habe, als Mursi ihn im August 2012 zum Nachfolger des mächtigen Mohammed Hussein Tantawi ernannt habe, während der etwa 20 Jahre ältere abgesetzte Verteidigungsminister im Nebenzimmer saß. Mursi habe ihn ermahnt, sich wie ein Mann zu benehmen und den Job zu übernehmen, schreibt der britische Guardian.

Die Ernennung des 1954 geborenen und damit relativ jungen Al-Sisi galt damals als Signal: Mursi, so mutmaßten damals viele Kommentatoren, zügele den politischen Einfluss des Militärs. Es wurde sogar vermutet, dass der sehr gläubige Al-Sisi eigens eingesetzt worden war, um die säkuläre Ausrichtung des Militärs zu brechen. Al-Sisi gilt als fromm. Seine Ehefrau soll einen Gesichtsschleier tragen.

Entmachtung Mursis
:Kairo feiert den Sturz des Präsidenten

Stundenlang haben die Menschen in Kairo auf die erlösende Nachricht gewartet, als dann der Verteidigungsminister den Sturz Mohammed Mursis verkündet, kennt der Jubel keine Grenzen. Auf dem Tahrir-Platz feiern Zehntausende Ägypter friedlich, zünden Feuerwerkskörper und beschwören den Zusammenhalt von Bevölkerung und Armee. In Bildern.

Nun ist Al-Sisi plötzlich das Gesicht des Putsches. Oppositionelle beäugten ihn lange mit Misstrauen. Bevor er zum Verteidigungsminister ernannt wurde, war Al-Sisi Chef des Militärgeheimdienstes. Als im März 2011 Militärpolizisten jugendliche Demonstranten vom Tahrir-Platz in den Keller des Ägyptischen Museums verschleppten und dort misshandelten, unterzogen sie die Mädchen und jungen Frauen unter ihnen einer besonders grausamen und erniedrigenden Behandlung - den sogenannten Jungfräulichkeitstests.

"Loyalität der Armee liegt beim Volk"

Al-Sisi rechtfertige dieses Vorgehen später gegenüber westlichen Medien: Die Frauen hätten gemeinsam mit jungen Männern auf dem Tahrir-Platz campiert; damit sie nicht später sagen würden, sie seien von Militärpolizisten vergewaltigt worden, hätte man eben ihre Jungfräulichkeit geprüft, behauptete er. Später ordnete er an, dass die Armee die "Tests" nicht länger durchführen dürfe.

Der Berufssoldat Al-Sisi studierte unter anderem in Washington und pflegt enge Kontakte zum US-Militär sowie nach Saudi-Arabien, wo er unter Mubarak als Militärattachee tätig war. Noch unter dem langjährigen Machthaber wurde er zudem Kommandeur des Armeebereichs Nord mit Sitz in Alexandria. Nach dem Sturz Mubaraks gehörte er dem Oberkommando der Streitkräfte an, das unter dem Namen Oberster Militärrat (Scaf) für einige Monate die Macht im Lande übernahm.

Nach seiner Ernennung zum Verteidigungsminister schien es zunächst tatsächlich so, als würde Al-Sisi eher im Sinne der Muslimbrüder als im Sinne einer machtbewussten Armee agieren. Als im November die Opposition gegen die Pläne für eine neue Verfassung auf den Straßen Sturm lief, mit der Mursi seine Macht festigen wollte, hielt der Armeechef noch still. "Die Loyalität der Armee liegt beim Volk und der Nation", sagte er unter Verweis auf die Wahlen, durch die Mursi rechtmäßig ins Amt gekommen war.

Als jedoch zuletzt Hunderttausende auf die Straßen zogen, um gegen Mursi zu protestieren, sah Al-Sisi den Willen des Volkes offenbar nicht mehr in der Regierung repräsentiert. Möglicherweise befürchtete der gläubige Muslim Al-Sisi aber auch, dass durch das strikte Vorgehen Mursis der Islam an sich diskreditiert werde, wie der US-Militärexperte Robert Springborn der Zeitung The National sagte.

Am Montag war es jedenfalls Al-Sisi, der Mursi ein Ultimatum stellte, sich mit der Opposition zu verständigen. Und nach Ablauf des Ultimatums am Mittwoch war es ebenfalls Al-Sisi, der Mursi stürzte. Nun erwartet Ägypten mit Spannung, welche Rolle der Armeechef mit seinem Apparat in der Zeit der Übergangsregierung einnimmt - und wie sich das mit der Rolle von Präsident Mansur verträgt.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: