Ägypten:Nach dem Spiel auf die Straße

Lesezeit: 3 min

Erstmals seit Jahren protestieren Tausende Ägypter - und riskieren ihre Freiheit.

Von Moritz BAumstieger, München

Eine kleine Gruppe Demonstranten protestierte am Freitag im Zentrum Kairos gegen die Regierung. (Foto: Mohamed Abd El Ghany/Reuters)

Am Freitag noch hatte Ägyptens Fußballverband versucht, dem Staatspräsidenten Abdel Fattah al-Sisi zur Seite zu springen. Doch es nutzte nichts. Das für den späteren Abend geplante Match, in dem die beiden Kairoer Stadtklubs al-Ahly und Zamalek aufeinandertreffen sollten, wurde von den Verantwortlichen vorgezogen. Das Derby sorgt in aller Regel dafür, dass es auf den Straßen Ägyptens außergewöhnlich ruhig zugeht - genau das wollten die Verantwortlichen ausnutzen: Für 19 Uhr abends hatte der im spanischen Exil lebende Whistleblower Mohamed Ali zu Demonstrationen gegen Staatspräsident Sisi aufgerufen. Genau zu dieser Zeit nun wurde das Spiel der Spiele angepfiffen.

Nachdem der damalige Verteidigungsminister Sisi im Jahr 2013 mit Mohammed Mursi den ersten frei gewählten Präsidenten des Landes in einem Militärputsch absetzte, wurden Proteste gegen die Staatsmacht selten in dem Land, in dem 2011 Hunderttausende Hosni Mubarak gestürzt hatten. Und seit sich Sisi ein Jahr später zum Präsidenten hatte wählen lassen, hörten sie praktisch ganz auf: Die Muslimbrüder, denen Mursi angehört hatte, wurden als Terrororganisation gebrandmarkt und gnadenlos verfolgt. Aber auch liberale, linke und zivilgesellschaftliche Aktivisten wurden nun wieder streng gegängelt, im Offlineleben wie im Internet, wo die Regierung Hunderte Seiten blockieren und die Kommunikation überwachen lässt. Zehntausende landeten als politische Häftlinge in den Gefängnissen - obwohl laut Berichten von Amnesty International oft bis zu 40 Personen in einer Zelle eingepfercht sind, ist der Platzbedarf so hoch, dass der Staat in den vergangenen fünf Jahren 19 neue Haftanstalten bauen ließ.

Das alles hatten die Ägypter selbstverständlich am Freitag im Kopf - Protest in ihrem Land kann lebensgefährlich sein. Doch schon kurz nach der Ankündigung der Spielverlegung geisterte die Losung "Wir gehen nach dem Spiel auf die Straße" durch die sozialen Medien. Und kaum, dass al-Ahly den Rivalen mit 3:2 nach Hause geschickt hatte, folgten die ersten verwackelten Handyvideos von spontanen Demonstrationen. Erst ein paar Dutzend Menschen auf dem berühmten Tahrirplatz, schnell vertrieben von den Sicherheitskräften. Dann ein paar Hundert an einer anderen Stelle der Innenstadt, sie schrien ihre Wut länger in die dunkle Nacht. Dann folgten Bilder aus Suez, aus der Küstenstadt Alexandria, aus Mahalla, schließlich aus Mansura im Nildelta - die der staatlichen Propaganda einen Schlag versetzten.

Wie schon zu Beginn der Proteste 2011 ließen die Staatssender ihre Reporter zunächst Standbilder aus den Innenstädten präsentieren, die belegen sollten, dass alles ruhig sei im Land. Die kursierenden Berichte von Protesten? Nur das Werk von Saboteuren, "fake news", wie man heute sagt. Die Bilder von schreienden jungen Männern? Feiernde Fans des Klubs al-Ahly, hieß es. Bis dann die Bilder aus Mansura kamen, wo die angeblichen Fußballfans einen Banner mit einem Porträt Sisis von den Haltern rissen und zerfetzten.

Die Proteste seien eine "Verschwörung der Spione" in der Türkei, Katar und Israel

Wie viele Menschen genau an den ersten Protesten seit Jahren teilnahmen, ist seriös kaum zu schätzen, Berichten von Aktivisten zufolge sollen es landesweit mehrere Tausend gewesen sein. Die Sicherheitskräfte gingen mit voller Härte vor, setzten unter anderem am Tahrirplatz in Kairo Tränengas ein. Anwohner berichteten der Süddeutschen Zeitung zudem von Pistolen- oder Gewehrschüssen, Meldungen von Protestteilnehmern über getötete Zivilisten konnten bisher jedoch nicht bestätigt werden. In ganz Ägypten nahm die Polizei Hunderte Protestierende fest, die Organisation Ägyptisches Zentrum für Ökonomische und Soziale Rechte konnte bisher 274 Fälle dokumentieren, die tatsächliche Zahl könnte jedoch noch weit höher liegen.

Während die Staatsmedien die Proteste ignorierten, nannte sie ein Berater von Präsident Sisi auf seiner Facebookseite eine "Verschwörung der Spione", deren Drahtzieher in der Türkei, Katar und Israel säßen. Unterdessen meldete sich der nun in Barcelona wohnende Schauspieler und Bauunternehmer Mohamed Ali nochmals mit mehreren Videos zu Wort. Seit 2. September prangert er auf seinem Youtube-Kanal "Mohameds Geheimnisse" in harschen Tönen die weitverbreitete Korruption in der ägyptischen Militärführung an, mit der er jahrelang Geschäfte gemacht hat. Außerdem stellt er Staatspräsident Sisi bloß, der sich in wirtschaftlich äußerst harten Zeiten für seine Bürger neue Paläste und Residenzen bauen lässt. Nun forderte Ali den Verteidigungsminister auf, Sisi am besten gleich festzunehmen. Der flog jedoch unbehelligt zur UN-Generalversammlung in New York - und empfing kurz nach der Landung noch weitere schlechte Nachrichten: Der ägyptische Aktienindex fiel in der Folge der Proteste um 5,5 Prozent, so stark wie seit 2012 nicht mehr.

© SZ vom 23.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: