Ägypten:Erst die Demokratie, dann das Geld

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Ein Regenbogen über Ägyptens Hauptstadt Kairo am 14. Februar 2017. (Foto: AFP)

Ägypten ist stabiler als andere Länder in der Region. Aber auf festen Beinen steht das Land nicht. Merkel darf deshalb die Abwehr von Migranten nicht zur Priorität der Beziehungen machen.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Angela Merkel hat Ägypten vor ihrem Besuch in Kairo an diesem Donnerstag als "stabilisierendes Element" in einer Krisenregion bezeichnet. Das ist zutreffend, wenn man andere Länder betrachtet. Der Irak, Syrien, Jemen und auch Ägyptens Nachbar Libyen sind alles andere als stabil - mit den Auswirkungen sind Deutschland und Europa längst konfrontiert: Hunderttausende Flüchtlinge und Terrorattacken, die der "Islamische Staat" organisiert oder inspiriert hat und die rechtsradikale Bewegungen nun für ihre Zwecke auszuschlachten versuchen.

Ägypten ist stabiler als andere Länder, ja. Aber auf festen Beinen steht das Land von Präsident Abdel Fattah al-Sisi wahrhaftig nicht. Mit 92 Millionen Menschen ist es der bevölkerungsreichste Staat der arabischen Welt und Nordafrikas, es ist too big to fail, zu groß, als dass man es fallen lassen könnte. Als Regionalmacht ist Ägypten von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, der Anarchie in Libyen irgendwann mal ein Ende zu setzen. Merkel bleibt nichts anderes übrig, als die Kooperation mit Kairo zu suchen. Für die Migration über das Mittelmeer müssen dauerhafte Lösungen her, die den Schleppern das Handwerk legen. Auch hier spielt Ägypten eine wichtige Rolle.

Ägypten wankt gefährlich

Genau deshalb aber sollte Merkel die Lehren der arabischen Aufstände 2011 nicht vergessen. Schon einmal verwechselte der Westen die Dauerherrschaft autoritärer Potentaten, die auf Unterdrückung bauten, mit Stabilität. Millionen forderten damals auf dem Tahrir-Platz Brot, Freiheit und Gerechtigkeit. Jetzt sind die Menschen müde und desillusioniert, kaum jemand ruft noch nach einer neuen Revolution. Doch Ägypten wankt gefährlich.

Es herrscht eine Art Friedhofsruhe, erzwungen durch massive politische Repression und Folter. Der Polizeistaat kerkert Tausende ohne rechtsstaatliche Verfahren unter grauenhaften Bedingungen ein. Es geht heute weit schlimmer zu als unter dem 2011 gestürzten Machthaber Hosni Mubarak. Dem jetzigen Präsidenten Sisi ist es lediglich gelungen, die Mauer der Angst wieder zu errichten, die damals auf dem Tahrir-Platz eingerissen worden war.

Das vom Militär dominierte Regime kann gerade mal die Armen speisen. Die Wirtschaft ist marode, ihren Kollaps konnte die Regierung nur durch internationale Notkredite vorerst abwenden - und indem sie die Landeswährung massiv abwertete. Die Inflation beträgt 30 Prozent. Ein Großteil der Menschen erlebt beides zusammen als kalte Enteignung. Dazu wächst die Bevölkerung pro Jahr um gut zwei Millionen Menschen, die bald Schulen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze brauchen werden. Außer fragwürdigen Megaprojekten fällt Kairo aber wenig ein, schon gar nichts, was nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung versprechen würde.

Außer Megaprojekten fällt Kairo nichts ein

Priorität der Regierung ist es, Finanzhilfen einzuwerben. Sie sieht sich dabei in einer starken Position, weiß sie doch um die Milliarden, die der türkische Präsident Erdoğan der EU abgetrotzt hat als Gegenleistung dafür, dass er die Grenzen dichtmachte. Kairo wird jede Hilfe annehmen und irgendwann auch Rücknahmezentren für Geflüchtete zustimmen, wenn der Preis nur hoch genug ist.

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Von Paul-Anton Krüger

Die Bundesregierung kann aber auf längere Sicht nichts gewinnen, wenn sie die Abwehr von Migration zur alleinigen Priorität macht. Ägypten wird nie stabil werden, wenn es keine breite politische Teilhabe und keine lebhafte Zivilgesellschaft gibt. Mit Appellen allein wird das nicht zu erreichen sein. Es braucht einen umfassenden Dialog, in dem Hilfen an Bedingungen geknüpft werden. Erst wenn Ägypten deutliche Fortschritte Richtung Demokratie und bei der Achtung der Menschenrechte macht, kann man über weitgehende Kooperation bei der Migration nachdenken.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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