Adolf Eichmann:Die Spinne und das Hakenkreuz

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"Wenn man eine leere SS-Uniform im Käfig aufstellen würde, hätte man einen Angeklagten von größerer Wirklichkeit": Vor fünfzig Jahren begann in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann und führte der Welt das ganze Ausmaß des Holocaust vor Augen.

J. Käppner

Der Angeklagte saß nur wenige Meter vor ihm. Und doch schienen Adolf Eichmann und alles, was er verkörperte, Welten entfernt zu sein. So kam es dem niederländischen Schriftsteller Harry Mulisch vor, der den Prozessauftakt gegen Eichmann am 11. April 1961 verfolgte: "Wie eine hilflose, aus dem Netz genommene Hakenkreuzspinne hört er sich den öffentlichen Ankläger an, und es ist deutlich, dass er kaum begreift, was geschieht. Wenn man eine leere SS-Uniform im Käfig aufstellen würde, hätte man einen Angeklagten von größerer Wirklichkeit."

Adolf Eichmann im Jahr 1961 in seiner Gefängniszelle in Israel: Vor Gericht entsprach er nicht dem Monster in Menschengestalt, das viele erwartet hatten. (Foto: AP)

Eichmann (1906 - 1962), als Leiter des "Judenreferats" im Reichssicherheitshauptamt der faktische Chef-Organisator des Genozids an den Juden, war 1960 von einem Mossad-Kommando aus Argentinien entführt worden. Vor Gericht entsprach er nicht dem Monster in Menschengestalt, das viele erwartet hatten. Aber welches Ausmaß, welche Systematik der Massenmord besessen, welche Vielzahl deutscher Mittäter es gegeben hatte - das alles erfuhr die Welt in vollem Umfang erstmals während des weltweit beachteten Prozesses in Jerusalem. Von nun an begann die systematische Erforschung des Holocaust, gewann die Verfolgung der Täter endlich an Fahrt.

Überlebende berichteten vom Grauen der Vernichtungslager, Widerstandskämpfer wie Abba Kovner und Zivia Lubetkin von der Mordmaschinerie, gegen die sie, eigentlich ohne Aussicht, die Waffen erhoben hatten. Eichmann, geschützt in einem Glaskasten, äußerte sich ausführlich und plädierte am Ende auf "nicht schuldig", denn: "Meine Schuld ist mein Gehorsam, meine Unterwerfung unter Dienstpflicht und Fahnen- und Diensteid." Ob er das selbst glaubte, ist zweifelhaft. Die deutschstämmige Publizistin Hannah Arendt schrieb nachher ihr berühmtes Buch über die "Banalität des Bösen", den Typus des kalten Bürokraten, den ein verbrecherisches Regime ebenso benötige wie die Todesschützen.

Bis heute blühen die Verschwörungstheorien, Eichmann sei eine Art Bauernopfer gewesen: Israel habe darauf verzichtet, weitere Nazigrößen zu schnappen und dafür Waffen, Geld und Unterstützung aus Westdeutschland bekommen. All das hätte Israel, zu dem Adenauer gute Beziehungen pflegte, aber auch ohne das Eichmann-Verfahren erhalten.

Schon während des Prozesses hatte die SED-Propaganda gekräht, Israel wolle so von "seiner Aggressionspolitik und seiner engen Verbindung zum Bonner Staat der Kriegsverbrecher ablenken". Die DDR tat freilich nichts, um bei der Verfolgung von Naziverbrechern zu helfen. Auch die vielen tausend DDR-Bürger, gegen die sich Ermittlungen in den reich bestückten Archiven in Ostberlin gelohnt hätten, durfte es im "antifaschistischen deutschen Staat" eben nicht geben.

Im Kreuzfeuer der Kritik

Im Westen war es wenig besser. Alte NS-Seilschaften in Justiz und Geheimdienst hatten die Fahndung nach Eichmann lange hintertrieben. Der Regierung unter Konrad Adenauer war der Prozess wenig angenehm. Sie befürchtete, er könne "belastendes Material gegen Bedienstete der Verwaltung des Bundes und der Länder" zu Tage fördern, so ein vom Spiegel publiziertes Dokument. Denn an NS-Belasteten war in dieser Verwaltung kein Mangel - zum Beispiel Kanzlerberater Hans Globke. Er war ein elender Mann, kein Mörder wie Eichmann, aber Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und die Inkarnation der vergesslichen Nachkriegsrepublik. Globke stand aber auch ohne den Eichmann-Prozess bereits im Kreuzfeuer der Kritik.

Ohnehin hing die weitere Strafverfolgung von NS-Tätern nicht mehr von Israel ab. Ministerpräsident Ben Gurion hatte eine Nazigröße vor Gericht stellen wollen - auch um sein von Feinden umstelltes Land als Staat der Juden zu legitimieren, die künftig nie mehr wehrlos sein würden. Das war 1961 gelungen. Von Israel war nicht zu erwarten, dass es nun systematisch die Jagd auf Altnazis eröffnen würde. Die Bundesrepublik hatte ja bereits selbst damit begonnen: In Ulm begann das "Einsatzgruppenverfahren" gegen SS-Mörder. 1958 wurde die Zentralstelle in Ludwigsburg gegründet.

Adolf Eichmann wurde schließlich zum Tode verurteilt und 1962 gehängt. Seine Asche verstreute man über das Meer.

© SZ vom 11.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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