Abschied:Verteidiger im Angriffsmodus

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Philipp Lahm hat alle überrumpelt - und erzürnt die Patriarchen seines Vereins. Aber er hatte offenbar einfach genug von zähen Verhandlungen.

Von Claudio Catuogno und Christof Kneer

Als Philipp Lahm am späten Dienstagabend in der Münchner Fußballarena durch die Schiebetür trat, hatte er immer noch diesen Blumenstrauß in der Hand. Rote Anthurien, weiße Gerbera, ein Gebinde in den Vereinsfarben des FC Bayern München. Nein, das war noch nicht sein Abschiedsstrauß - nur eine kleine Aufmerksamkeit anlässlich des 500. Pflichtspiels, das Lahm drei Tage zuvor für den Münchner Klub bestritten hatte. 500 Fußballspiele im Bayern-Trikot - und jetzt soll diese Ausnahmekarriere also vorzeitig zu Ende gehen. Auf Lahms ausdrücklichen Wunsch hin, einerseits. Aber andererseits auch: im Streit. Trotz der Blumen.

Lahm legte den Strauß im Arena-Keller auf den Linoleumboden. Dann sprach er fast sieben Minuten lang in die Mikrofone und Kameras hinein, die dort auf ihn gewartet hatten. Und danach waren die Fragezeichen, die den größten deutschen Fußballverein derzeit umgeben, noch mal ein bisschen größer geworden.

Dass Philipp Lahm verkündete, zum Saisonende aufzuhören mit dem Fußballspielen, kam nicht völlig unerwartet, war aber nur der eine Teil seiner Nachricht. Eigentlich gilt Lahms Vertrag noch bis Juni 2018. Aber: "Ich sehe meinen Führungsstil auch darin, dass ich jeden Tag versuche, alles zu geben, in jedem Training, jedem Spiel. Ich glaube, dass ich bis Ende dieser Saison noch fähig bin, das jeden Tag abzuliefern - aber eben nicht darüber hinaus." Da hört einer auf seinen Körper, auf seine Motivation - und trifft eine selbstbestimmte Entscheidung, anstatt einfach noch ein weiteres Jahr sein Millionensalär einzustreichen: Es ist auch diese Fähigkeit zur Selbstreflexion, die Lahm zum besonderen Fußballer gemacht hat. Die ihn geradezu prädestinierte für das Kapitänsamt bei Bayern sowie - bis zu seinem Rücktritt nach dem gewonnenen WM-Finale 2014 - in der Nationalmannschaft. "Irgendwann ist es einfach zu Ende", sagte er am Dienstag, "und das Ende will ich selber bestimmen."

Philipp Lahm hat seinen eigenen Kopf, ein Stratege, der die größeren Zusammenhänge im Blick hat. Da erscheint es geradezu logisch, dass ihn die Verantwortlichen des FC Bayern für die Zeit nach der aktiven Karriere für eine Aufgabe im Management auf dem Zettel hatten. Doch auch daraus wird erst mal nichts. Lahm steht den Bayern auch als Sportdirektor nicht zur Verfügung: Das ist der andere Teil der Geschichte. Jener Teil, der hinein weist in die gegenwärtigen Brüche und Konfliktlinien eines Klubs, der den Titel "Rekordmeister" mit Stolz trägt, sich intern aber nicht einig ist, wie er sich für die Zukunft aufstellen soll.

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Uli Hoeneß, der sich Ende November 2016 - nach verbüßter Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung - wieder zum Präsidenten wählen ließ und soeben auch zum Chef des Aufsichtsrates, ist 65 Jahre alt. Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef, ist 61. Die beiden ehemaligen Nationalspieler sind seit Jahrzehnten die Gesichter des Klubs. Die Gesichter werden langsam faltig. Philipp Lahm, der Weltmeister-Kapitän 2014, der Kapitän der Bayern-Elf, die 2013 den Champions-League-Titel gewann, er hätte das Gesicht der Zukunft werden können. Als "Gigant" hat Rummenigge ihn bezeichnet. Und der ehemalige Trainer Pep Guardiola erzählte gern, er habe sich mit keinem anderen so fachkundig über Fußball unterhalten können wie mit Lahm. Warum Lahm seinem Klub trotzdem nicht zur Verfügung steht? Darauf hat er keine Antwort gegeben. "Es gab Gespräche, und am Ende der Gespräche habe ich für mich entschlossen, dass es für mich jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt ist, beim FC Bayern einzusteigen", sagt er nur. Ab Sommer sei er "Privatier". Und dann werde man "weitersehen".

Fakt ist aber auch, dass die Pläne andere waren. Dass man in mindestens vier Verhandlungsrunden beieinander saß, über Arbeitsprofile sprach, über Kompetenzen. Zumindest für Rummenigge schien eine Einigung greifbar nahe zu sein, auf der Mitgliederversammlung im November sagte er auf die Frage eines Fans, warum der Posten des zurückgetretenen Sportvorstands Matthias Sammer noch nicht nachbesetzt sei: "Wir haben da einen im Hinterkopf, den Namen haben Sie sicher schon gehört, den werden wir auch holen, aber der muss im Moment noch Fußball spielen." Lahm.

Klar ist aber auch, dass im Lauf der Gespräche auf beiden Seiten die Zweifel wuchsen. Wie denn die Bosse auf seine Absage reagiert hätten, wurde Lahm gefragt. Knappe Antwort: "Das können die besser beantworten als ich."

Philipp Lahm hat am Dienstag alle überrumpelt. Viele im Klub hat das irritiert. Als Rummenigge seinem Kapitän kurz vor Anpfiff des Pokal-Achtelfinales gegen den VfL Wolfsburg die Blumen überreichte, da kannte er zwar bereits Lahms Entschluss. Was er aber nicht wusste: dass kurz darauf, mitten hinein in die Live-Übertragung, die Sport-Bild diese Neuigkeiten auf den Markt bringen würde. So sprach nach dem Spiel, das die Bayern 1:0 gewonnen hatten, bald keiner mehr über Wolfsburg. Rummenigge verließ die Arena wortlos - und wütend. Hoeneß stapfte zur ARD, dann zu Sky, er tat so, als seien das halt ein paar Pressegerüchte, als sei noch gar nichts entschieden. Er kündigte eine gemeinsame Erklärung an für die nächsten Tage. Fünf Minuten später trat Lahm durch die Tür und sagte: Doch, klar, alles entschieden.

Am nächsten Tag gab der Klub eine Presseerklärung heraus, bei der schon die Überschrift distanziert klang: "Erklärung des FC Bayern München zu Philipp Lahm". Man sei "überrascht über das Vorgehen Philipp Lahms und seines Beraters" hieß es weiter - Rummenigge und Hoeneß unterstellen Lahms Lager, die Nachricht zielsicher durchgesteckt zu haben. Allzu beleidigt wollte sich der Klub aber nicht geben: Lahm stünden "die Türen beim FC Bayern auch künftig offen". Sehr viele andere "Giganten", die noch dazu gleich um die Ecke aufgewachsen sind, hat der Klub nicht in der Auswahl für seine Zukunft.

Viele geeignete Kandidaten für die Führungsaufgabe hat der Klub nicht zur Auswahl

Wenn man der Frage nachspürt, warum die Beteiligten zumindest vorerst nicht zueinander fanden, wird bald deutlich, wie unterschiedlich beide Seiten die Gespräche erlebt haben. In Lahms Lager scheint sich nach Hoeneß' Rückkehr im November ein unguter Eindruck festgesetzt zu haben: dass er im Einflussbereich dieses Patriarchen der alten Schule, der seinen FC Bayern wie ein inhabergeführtes Unternehmen leitet, nicht die Gestaltungsspielräume haben würde, die er für nötig hält. Denn offene Baustellen gibt es bei Bayern ja viele: eine Mannschaft, in der auch weitere Schlüsselspieler wie Robben, Ribéry und Xabi Alonso der Pensionsgrenze nahe sind; eine Nachwuchsabteilung, die im Münchner Norden bald ein modernes Leistungszentrum schlüsselfertig hingestellt bekommt, der aber schon seit Jahren ein durchdachtes Konzept fehlt. Aber offenbar wollten Hoeneß und Rummenigge nicht gleich einen anspruchsvollen Strategen, sie haben sich eher einen gewünscht, der nah an der Mannschaft ist und entscheidet, ob man vor dem nächsten Heimspiel im Hotel oder zu Hause schläft. Dass es einen Dissens zwischen Hoeneß und Rummenigge gegeben haben könnte, dass Rummenigge Lahm gerne entgegengekommen wäre, Hoeneß aber nicht, wird aus dem Klub-Umfeld energisch dementiert.

In jedem Fall dürfte Lahm auch sehr genau hingesehen haben, wie der ehemalige Bayern-Profi Christian Nerlinger im Jahr 2010 von Hoeneß zum Manager erwählt - und zwei Jahre später hoppladihopp gefeuert wurde. Lahm wollte nicht Hoeneß' neuer Nerlinger werden. Er sieht sich nicht als Manager, der den hohen Herren einen Job verdankt; er ist der festen Überzeugung, dass seine Expertise dringend nötig ist in diesem Verein. Zum Sportvorstand wollte ihn aber der Aufsichtsrat offenbar nicht gleich befördern: Dort sitzen Wirtschaftskapitäne, die finden, dass man einem Fußballer die operative Verantwortung für ein Unternehmen mit fast 700 Millionen Euro nicht gleich anvertrauen könne.

Philipp Lahm wird jetzt ein bisschen abwarten. Wie sagten Hoeneß und Rummenigge doch am Tag danach? Die Türen stehen offen. Sehr viele kommen nicht infrage, um durch diese Tür zu gehen. Der Gladbacher Max Eberl? Wird auf dem Markt gehandelt, aber seine Berufung gilt als nicht unbedingt wahrscheinlich. Vielleicht wird es irgendwann ja auch: Philipp Lahm.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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