Abschiebung nach Afghanistan:"Afghanistan ist zweifelsfrei kein sicheres Herkunftsland"

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Abschiebung nach Afghanistan, "Afghanistan ist zweifelsfrei kein sicheres Herkunftsland" (Video: Süddeutsche Zeitung/wochit)

Die Bundesregierung schickt 34 Afghanen zurück in ihre Heimat. Teile des Landes seien "sicher genug". Länderexperte Thomas Ruttig sieht die Lage ganz anders.

Interview von Moritz Matzner

Thomas Ruttig ist Co-Direktor des Afghanistan Analysts Networks, einem unabhängigen Thinktank. Erstmals war er 1983 in Afghanistan, seit 1988 hat er sich immer wieder für lange Zeit dort aufgehalten, um als Diplomat, UN- und EU-Mitarbeiter, dann als unabhängiger Länderexperte den Konflikt zu beobachten. Er spricht Paschtu und Dari und kennt auch den Süden, die Hochburg der Taliban.

SZ.de: Herr Ruttig, teilen Sie die Einschätzung der Bundesregierung, dass es in Afghanistan Regionen gibt, die sicher genug sind?

Thomas Ruttig: Begriffe wie "sicher genug" sind wohl deswegen so vage formuliert, damit man sie nicht überprüfen kann. Was sind denn die Kriterien? Die Regierung sagt, sie informiert das Parlament, die Öffentlichkeit. Doch die Berichte sind unter Verschluss.

Afghanistan ist zweifelsfrei kein "sicheres Herkunftsland". Die Situation dort gehört in die Top 5 der intensivsten Konflikte weltweit.

Aber bezieht sich das auf das ganze Land?

Es gibt nur mehr oder weniger unsichere Gebiete - aber das ist alles. Bamiyan etwa wird immer als Positivbeispiel genannt, wo es zwischen September 2015 und Mai 2016 nach offiziellen Angaben einer EU-Agentur 33 sogenannte sicherheitsrelevante Zwischenfälle gab. Das ist nur im Vergleich wenig.

Außerdem: Man kann die Provinzen nicht getrennt voneinander betrachten. Ich war selbst Ende Mai in Bamiyan. Man kommt nur per Flugzeug hin, alle Straßen, die aus der Provinz herausführen, sind zu; die Taliban kontrollieren also den Zugang. Da überlegen Sie sich mal, wie sicher Sie sich fühlen, wenn Sie ringsherum belagert werden.

Kurz nach einem Selbstmordanschlag in Kundus im Jahr 2015: Seit letztem Jahr haben allein in Deutschland 250 000 Afghanen einen Asylantrag gestellt. (Foto: REUTERS)

Wie erklären Sie sich dann die Entscheidung der Bundesregierung, die Menschen jetzt zurückzuschicken?

Es ist eine rein innenpolitische Entscheidung. Nicht die Sicherheitslage in Afghanistan, sondern die politische Stimmung in Deutschland ist für diesen Beschluss ausschlaggebend gewesen.

Wieso trifft es ausgerechnet die Afghanen?

Die Afghanen sind die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe in Deutschland. Wenn man also jetzt Asylsuchende loswerden will, dann ist es klar, dass man da ansetzt. Dass in Afghanistan weiterhin Krieg herrscht, ist in Deutschland nicht mehr so im Bewusstsein. Kabul ist nicht Aleppo. Aber es war mal wie Aleppo.

Nach dem Fall von Kundus an die Taliban im Herbst 2015 und deren Vorrücken in anderen Provinzen ist die Zahl der Binnenflüchtlinge stärker gestiegen als in den letzten 15 Jahren. Bei vielen ist noch die Erinnerung an die Herrschaft der Taliban präsent. Sie haben deren Vormarsch in den 90er Jahren miterlebt und wissen, wie schnell es kippen kann.

Die 34 Flüchtlinge, die jetzt abgeschoben wurden, sind erst der Anfang. Etwa 12 500 Afghanen sind "ausreisepflichtig". Welche Zukunft erwartet sie in ihrer Heimat?

Afghanistan bleibt eines der ärmsten Länder der Welt. Konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten sind zwar viel weniger präsent als etwa in Syrien oder dem Irak. Dafür gibt es ethnische Spannungen. Vor allem: Das Land befindet sich seit 40 Jahren in einem Krieg, der durch den sowjetischen Einmarsch zu Weihnachten 1979 internationalisiert wurde. In all diesen Jahren sind Kriegsverbrechen passiert, die nie aufgearbeitet wurden. Keiner der Haupttäter wurde zur Verantwortung gezogen. Um Konflikte auszutragen, gibt es keine wirklich funktionierenden politischen Kanäle und Institutionen. Die Regierung ist korrupt. Der Aufstand der Taliban ist eher ein Symptom, denn die Ursache. Viele Menschen haben sich ihnen anfangs zugewandt, weil sie keine politische Alternative sahen. Diese Front hat sich dann verhärtet.

Etliche Länder engagieren sich noch immer in Afghanistan in der Hoffnung, dass es dort besser wird. Auch Deutschland.

Die meisten Beobachter sind sich einig, dass sich die Situation in den nächsten Jahren weder stark zum Besseren noch zum Schlechteren wenden wird. Afghanistan hängt an einem Tropf, wird lediglich am Leben erhalten. Aussicht auf Besserung besteht bei einem bloßen Weiter-so nicht. Und die Situation kann sich durchaus verschlechtern. Falls zum Beispiel Donald Trump als US-Präsident ab nächstem Jahr die amerikanischen Truppen abzieht, oder die finanzielle Hilfe stark verringert, kann sich die Situation rapide verschlechtern.

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