Abgeschobener Islamist:Wohin mit Sami A.?

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Er wurde an der deutschen Justiz vorbei nach Tunesien abgeschoben: der Islamist Sami A. (Foto: WAZ Fotopool/action press)
  • Höchste Stellen der Bundesregierung sind inzwischen mit dem Fall des Islamisten Sami A. beschäftigt.
  • Bundesinnenminister Seehofer will von der tunesischen Regierung eine schriftlichen Zusicherung, A. werde in Tunesien korrekt behandelt und nicht gefoltert.
  • Es ist ebenjene Erklärung, die die Richter des zuständigen Verwaltungsgerichtes in Gelsenkirchen bereits im vorherigen Verfahren verlangten, um einer Abschiebung zuzustimmen.

Von Georg Mascolo, München

Am 30. August um die Mittagszeit ließ sich Innenminister Horst Seehofer mit seinem tunesischen Amtskollegen Hichem Fourati verbinden. Für das vereinbarte Gespräch gab es nur ein Thema, obwohl beide qua Amt dafür überhaupt nicht zuständig sind, es liegt in Tunis wie in Berlin in den Händen von Justiz und Diplomaten. Aber um den Fall des inzwischen bekanntesten aus Deutschland abgeschobenen Gefährders zu lösen, wird dieser Tage auch zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen.

Es ging um den Islamisten Sami A. Der angebliche frühere Leibwächter von Osama bin Laden war am 13. Juli an der deutschen Justiz vorbei ins tunesische Enfidha ausgeflogen worden. Gerichte haben inzwischen verfügt, dass er nach Deutschland zurückkehren darf. Das will auch A. Er versuchte bereits, an einen "Notreiseausweis zur einmaligen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland" zu kommen. Und nur drei Tage vor Seehofers Anruf in Tunis war der Islamist auf der für ihn zuständigen Polizeistation im tunesischen Teboulba aufgetaucht, um dort um einen neuen Reisepass zu ersuchen. Er brauche ihn für die Reise nach Deutschland. Die Beamten lehnten ab, gegen Sami A. wird noch immer wegen Terrorismusverdachts ermittelt. Zudem ist er laut seiner Anwältin als "S-17-Fall" eingestuft, was für Islamisten steht, die unter Beobachtung zu halten sind. Aber was, wenn die Ermittlungen enden und A. nach Deutschland reisen dürfte? Kehrt er dann nach Bochum zurück?

Fall Sami A.
:Erst abschieben, dann nach Folter fragen

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Ebendieses Szenario will Seehofer - und da ist er ausnahmsweise mit der Kanzlerin einig - vermeiden. Intern fiel in der Bundesregierung schon einmal der Satz, so eine Aktion könne man nicht erklären, das Ganze wäre gut für einen weiteren kräftigen Schub für die AfD. "Ich bin froh, dass der mutmaßliche Bin-Laden-Leibwächter außer Landes ist", hat Seehofer erklärt.

In Berlin versucht man sich nun an der Lösung einer schwierigen Aufgabe

Wäre dies nicht an der Justiz vorbei geschehen, wäre solche Zufriedenheit verständlich. Nach jahrelangem Zögern der Behörden läuft die Ausweisung von Islamisten inzwischen gut; die Gerichte stimmen meist zu. Eben diese Geduld wollte der NRW-Integrationsminister Joachim Stamp offenbar nicht aufbringen. Und so hat der Fall Sami A. das Vertrauen der Justiz in den Staat erschüttert. In Berlin versucht man sich nun an der Lösung einer schwierigen Aufgabe: Sami A. nicht nach Deutschland zurückholen zu müssen und die Justiz nicht weiter zu brüskieren.

Höchste Stellen der Bundesregierung sind inzwischen mit dem Fall beschäftigt. Seehofers Anruf diente dem Zweck, die tunesische Regierung zu einer schriftlichen Zusicherung zu bringen: A. werde korrekt behandelt und nicht gefoltert. Es ist ebenjene Erklärung, die die Richter des zuständigen Verwaltungsgerichtes in Gelsenkirchen bereits im vorherigen Verfahren verlangten, um einer Abschiebung zuzustimmen. Aber die Regierung in Tunis tut sich schwer, sie empfindet das als Misstrauensvotum der Deutschen. Nun soll eine Erklärung her, in der Hoffnung, dass die Justiz das Verfahren für beendet erklärt. Oder zumindest nicht mehr länger auf der Rückführung von Sami A. besteht.

Schon die Diplomaten des Auswärtigen Amtes haben sich wieder und wieder um dieses Blatt Papier bemüht. Die Tunesier sollen zunehmend genervt reagiert haben: Sie hätten Sami A. nach kurzem Verhör freigelassen, dies zeige doch, dass die Justiz funktioniere. Und außerdem gehe die Deutschen der Fall eines Tunesiers in Tunesien gar nichts mehr an. Nun drängte Seehofer seinen Amtskollegen, man brauche diese Zusicherung unbedingt.

Das stimmt. Denn ein anderer Versuch, die Sache zu lösen, scheiterte. Das Gericht in Gelsenkirchen lehnte einen Antrag ab, den zuvor gefassten Beschluss auf Rückholung von Sami A. zu ändern. Die Behörden hatten argumentiert, dass Tunesien gerade in diesem Fall ein "ureigenes Interesse" daran habe, das Funktionieren des Rechtsstaats zu beweisen, außerdem wirke sich die hohe mediale Aufmerksamkeit "gefahrenmindernd" für A. aus. Zudem wurde ein Vermerk der deutschen Botschaft in Tunis über ein Telefonat mit dem stellvertretenden Leiter der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft vorgelegt. Dieser hatte versichert, selbstverständlich werde Sami A. nicht gefoltert, dies sei für ihn eine "rote Linie".

Die Richter aber winkten ab, das reiche nicht. Der Zeitraum sei zu kurz, um darauf zu schließen, dass Sami A. keine Gefahr mehr drohe. Zudem könne man nicht sagen, was geschehe, wenn die Medien sich nicht mehr für den Fall interessieren. A.s Anwältin hat behauptet, ihr Mandant sei bereits gefoltert worden: Zwei Tage lang habe er nichts zu essen und zu trinken bekommen und sei "durch Schläge auf den Nacken am Einschlafen gehindert" worden.

Wäre dies zu beweisen, wären alle Zusicherungen wertlos - aber in den deutschen Behörden gelten die Schilderungen als unglaubwürdig. So richtet sich weiter alle Hoffnung auf die Garantie, eine erste Antwort aus Tunis gibt es, aber sie gilt als unzureichend. In Berliner Regierungskreisen wird auch für möglich erachtet, dass notfalls die Kanzlerin selbst zum Telefon greift.

Sami A. ist bereits seit dem 8. August 2005 als Gefährder eingestuft

Dabei ist auch noch eine andere Variante nicht völlig ausgeschlossen, innerhalb der beteiligten Behörden hat sie Fürsprecher: Danach solle man Sami A. zurückholen, das Verfahren in Deutschland fortsetzen, um ihn dann bald erneut abzuschieben. Ein politisch zwar schwer zu vermittelnder Vorgang, argumentieren sie, aber notwendig aus Respekt vor dem Rechtsstaat. Ließe sich nachweisen, dass von Sami A. "eine besondere Gefahr für die Sicherheit" ausgehe, könnten die Behörden künftig das Gericht in Gelsenkirchen umgehen. Zuständig für die Überprüfung einer Ausweisung auf Grundlage des Paragrafen 58a des Aufenthaltsgesetzes wäre das Bundesverwaltungsgericht. Aber reichen die Beweise?

Sami A. ist bereits seit dem 8. August 2005 als Gefährder eingestuft, lange aber in der Kategorie "moderates Risiko". Vor allem durch eine Aussage eines Mitgliedes aus dem engsten Familienkreis änderte sich dies. Im Mai landete er in der Kategorie "hohes Risiko." Grund hierfür war, dass A. die Tat des Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri gelobt und erklärt haben soll, dass er im Fall seiner Abschiebung "Deutschland Blut weinen" lassen würde. Sami A. bestreitet die Angaben. Inzwischen wurde seine Akte wieder und wieder von Juristen gesichtet, man sucht nach Belegen, mit denen sich eine besondere Gefährlichkeit nachweisen ließe. Auffällig ist, das Sami A. in der Islamistenszene seit langer Zeit offenbar so ziemlich jeden kennt: Nach Zeugenaussagen könnte unter ihnen der auf Guantanamo einsitzende Chefplaner der Anschläge des 11. September, Ramzi Binalshibh, sein.

Erste Szenarien für eine mögliche Rückreise von Sami A. wurden bereits entwickelt: Danach könnte der Tunesier die Erlaubnis erhalten, sich an der deutschen Grenze einzufinden - und einer Fluggesellschaft die Genehmigung zum Transport erteilt werden. Womöglich käme A. sofort wieder in Abschiebehaft. Der Bochumer Stadtdirektor hat bereits erklärt, dass er eine "Verunsicherung der Bevölkerung" befürchte, wenn Sami A. wieder durch die Straßen laufe. Allein allerdings würde er dies kaum tun. Es würde wohl umfassend observiert werden. Denn als möglich gilt, dass sich Sami A. durch die Ereignisse in den vergangenen Monaten weiter radikalisiert haben könnte.

Er wurde an der deutschen Justiz vorbei nach Tunesien abgeschoben: der Islamist Sami A. (Foto: WAZ Fotopool/action press)
© SZ vom 27.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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