20 Jahre Mauerfall:Einheit verpflichtet

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Die Welt schaut auf Berlin: Während Kanzlerin Merkel Deutschlands Pflichten betont, äußert der Zentralrat der Juden Kritik an den Feierlichkeiten, die das Gedenken an die Pogromnacht verdrängten.

Das Unmögliche möglich gemacht, Tag der Freude, Triumph der Freiheit: In Berlin haben die Gedenkfeiern zu 20 Jahren Mauerfall begonnen - und Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt das Gedenken zum Anlass, um Deutschlands Verantwortung innerhalb einer neuen globalen Ordnung anzumahnen.

Gedenkfeiern zum Mauerfall in Berlin: Besucher stecken Rosen in den Spalt eines noch stehenden Teils der Berliner Mauer. (Foto: Foto: Getty)

Aus dem Mauerfall sei nach Ansicht der Kanzlerin eine Pflicht für Deutschland erwachsen, Verantwortung bei der Lösung von Konflikten weltweit zu übernehmen. "Wir haben das Unmögliche als möglich erlebt", sagte die CDU-Chefin auf der Wissenschaftskonferenz "Falling Walls" der Einstein-Stiftung in Berlin. Das müsse auch an anderen Stellen dieser Welt versucht werden, beispielsweise im Nahen Osten oder im Kampf gegen den Terrorismus.

Durch das glückliche Erleben des Mauerfalls habe Deutschland auch die Verpflichtung, dazu beizutragen, "dass die Probleme dieser Welt besser gelöst werden können", sagte die Kanzlerin. Das Prinzip der Abschreckung funktioniere nicht mehr, deswegen müssten gemeinschaftlich völlig neue Wege gegangen werden.

An diesem Montag mahnte sie außerdem weitere Anstrengungen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West an: "Die deutsche Einheit ist noch nicht vollendet."

Bundespräsident Horst Köhler erinnerte auch an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, in der zahlreiche Synagogen in Deutschland zerstört und jüdische Einrichtungen angegriffen wurden. "Die Teilung konnte 1989 auch deshalb überwunden werden, weil wir Deutschen die nötigen Lehren aus unserer Geschichte zwischen 1933 und 1945 gezogen haben", erklärte er.

Der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow rief zum weltweiten Kampf für Freiheit und gegen Unterdrückung aufgerufen. "Es gibt immer neue Trennlinien in der Welt - dem muss man sich entgegenstellen", sagte der Friedensnobelpreisträger in Berlin.

Darüber hinaus forderte Gorbatschow die EU auf, sich um eine freundlichere Beziehung zu Russland zu bemühen. Eine starke EU könne nicht "auf der Basis der antirussischen Stimmung zustande kommen", sagte er.

Knobloch vermisst Pogrom-Gedenken

Doch es gab auch kritische Töne: Die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, hat bedauert, dass das Gedenken an die Pogromnacht am 9. November 1938 "von der Freude über 20 Jahre Mauerfall überlagert wird". In Zukunft müsse ein Weg gefunden werden, um beider Ereignisse in angemessener Form zu gedenken, forderte Knobloch.

Wie die jüngsten Parolen an der Dresdner Synagoge zeigten, "sind Antisemitismus und Volksverhetzung in Deutschland nach wie vor ein ernstzunehmendes Problem", sagte Knobloch. Braunes Gedankengut sei in alle Bereiche der Gesellschaft eingesickert. In Deutschland seien allein im ersten Halbjahr rund 550 antisemitische Straftaten begangen worden.

Es sei zwar völlig in Ordnung, dass die Erinnerung dieser Tage ganz unter dem Eindruck der deutschen Einigung stehe. Den Ostdeutschen habe der Fall der Mauer die langersehnte Freiheit gebracht, dem Land die außenpolitische Souveränität.

"Zugleich aber dürfen wir nicht vergessen, dass sich vor 20 Jahren nicht nur die Tore zur Freiheit geöffnet haben. Sondern dass sich mit dem Novemberpogrom vor 71 Jahren bereits die Öffnung der Tore Auschwitzs abgezeichnet hat", mahnte die Zentralratsvorsitzende. "Das wiedervereinigte Deutschland müsse zeigen, dass es sich nach wie vor den demokratischen Grundwerten verpflichtet fühlt - im Bewusstsein der dunklen Seite seiner Geschichte."

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Zum 20. Jahrestag
:Gedenken an den Mauerfall

Symbolisch soll an diesem 9. November die Mauer noch einmal fallen: Wie Berlin das Jubiläum feiert. In Bildern.

Mit einem Gedenkgottesdienst in der Gethsemanekirche begannen am Morgen in Berlin die Feierlichkeiten zum Jahrestag. Höhepunkt ist das "Fest der Freiheit" am Abend am Brandenburger Tor, bei dem 1000 überdimensionale Dominosteine entlang des ehemaligen Mauerverlaufs zu Fall gebracht werden sollen.

"Mauern lösen keine Probleme"

An dem Gottesdienst in der Gethsemanekirche, die in der Wendezeit Versammlungsort von Oppositionellen war, nahmen Merkel und Köhler teil. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte in seiner Predigt: "Die Erinnerung an den 9. November 1989 und nicht weniger die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse der Reichspogromnacht am 9. November 1938 lehren uns unmissverständlich: Mauern ob real oder in den Köpfen und Herzen der Menschen, Mauern lösen keine Probleme."

An der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße tummelten sich schon morgens Hunderte Berliner und Touristen aus aller Welt. In der dortigen Kapelle der Versöhnung fand eine Andacht in Deutsch und Englisch statt, an der der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Vorgänger Walter Momper teilnahmen.

Momper, dessen Erkennungszeichen ein roter Schal war und ist, leitete zur Zeit des Mauerfalls die Geschicke Westberlins. "Das war der Tag aller Tage", sagte der SPD-Politiker rückblickend. "Ich freue mich immer wieder darüber, dass wir so friedlich zusammengekommen sind." Am Nachmittag wollte Merkel mit 200 ausgewählten Bürgerrechtlern und Zeitzeugen über die Bornholmer Straße von Ost nach West gehen. An dieser Stelle wurde vor 20 Jahren zuerst die Mauer geöffnet.

Bei der zentralen Gedenkfeier am Brandenburger Tor sollen die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim und Jon Bon Jovi für das Rahmenprogramm sorgen. Als Redner sind der frühere sowjetische Präsident Gorbatschow und der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher vorgesehen.

Merkel wird am Jahrestag zur Gastgeberin eines der größten inoffiziellen Gipfeltreffen, das es in Berlin je gegeben hat. Neben den 27 Staats- und Regierungschefs der EU kommen der russische Präsident Dmitrij Medwedjew und US-Außenministerin Hillary Clinton in Vertretung des wegen einer Asien-Reise verhinderten Präsidenten Barack Obama nach Berlin.

Daneben zählen ehemalige Staatenlenker wie Gorbatschow und der frühere polnische Staatschef Lech Walesa sowie Friedensnobelpreisträger wie Muhammad Yunus, Nelson Mandela und Kofi Annan zu den Ehrengästen.

© dpa/AFP/AP/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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