Deutsch-polnischer Nachbarschaftsvertrag:Nationale Töne vor dem Jubiläum

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Während in Berlin sämtliche Bundestagsparteien für gute Beziehungen zu den polnischen Nachbarn eintreten, spaltet das Verhältnis zu den Deutschen nach wie vor die polnische Gesellschaft. Zu seinem 20-jährigen Bestehen polemisieren Kritiker in Warschau gegen den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag.

Thomas Urban, Warschau

Zwei Nachrichten gingen am Vorabend der Feiern zum 20. Jahrestag des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags durch die Medien, eine gute und eine schlechte. Die gute: Erstmals seit der Erhebung von Meinungsumfragen über das Ansehen der jeweiligen Nachbarn sind die Polen bei den Deutschen im grünen Bereich. Die schlechte Nachricht: Erklärungen der nationalkonservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sowie anderer Gruppierungen zum Nachbarschaftsvertrag lassen erwarten, dass das deutsche Thema wieder zu heftigen Kontroversen vor den bevorstehenden Parlamentswahlen führen dürfte.

Bundeskanzler Helmut Kohl (rechts) und Polens Premier Jan Krzysztof Bielecki tauschten am 17. Juni 1991 die Vertragsurkunden aus. (Foto: picture-alliance / dpa)

Nach einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach, die die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Auftrag gegeben hat, betrachtet erstmals eine knappe Mehrheit der Deutschen die Polen als Nachbarvolk mit Sympathie. Umgekehrt haben die Deutschen in den Augen der Polen schon vor einem Jahrzehnt den positiven Bereich erreicht. Noch im Jahr 1991, als Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und in Polen der deutschfreundliche Reform-Premier Jan Krzysztof Bielecki den Nachbarschaftsvertrag unterzeichneten, betrachteten sich beide Gesellschaften mit tiefem Misstrauen. Nur Politiker und eine eher überschaubare Zahl von Intellektuellen waren von einer deutsch-polnischen Aufbruchstimmung erfasst. Doch die Integration Polens in die westlichen Strukturen, der stetig zunehmende Reiseverkehr, Schüler- und Studentenaustausch und schließlich die intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit haben dazu geführt, dass auf beiden Seiten Vorurteile immer mehr in den Hintergrund getreten sind.

Diese Annäherung beider Gesellschaften haben auch kapitale Fehler der Regierenden - in beiden Staaten - nicht wesentlich beeinträchtigen können. Schwerwiegende Kommunikationsprobleme zwischen Berlin und Warschau traten erstmals zu Tage, als in beiden Hauptstädten vor einem Jahrzehnt ausgerechnet Sozialdemokraten regierten. Nicht nur Premierminister Leszek Miller und Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, sondern auch die wichtigsten polnischen Medien unterstützten den Irak-Krieg von US-Präsident George W. Bush, während Bundeskanzler Gerhard Schröder den Schulterschluss mit dem "lupenreinen Demokraten" Wladimir Putin suchte. Dass Schröder das russische Projekt einer Gas-Pipeline durch die Ostsee forcierte, ließ in Polen darüber hinaus Furcht vor einer neuen Achse Berlin-Moskau aufkommen.

Aus innenpolitischen Gründen spielten auch beide sozialdemokratischen Regierungen die von der Sache her völlig marginale Kontroverse um ein Zentrum zur Dokumentation von Vertreibungen hoch. Sie machten damit - ungewollt - den Nationalkonservativen hinter den Kaczynski-Zwillingen ein großartiges Wahlkampfgeschenk. Für Warschauer Politologen steht außer Zweifel, dass die an der Weichsel populäre Version, die Deutschen (das "Volk der Henker") würden die Geschichte zu Lasten der Polen ("des Volkes der Opfer") umschreiben, den Zwillingen die notwendigen Prozentpunkte für ihren überraschenden Doppelsieg bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen 2005 eingebracht hat.

Es war daher folgerichtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und der proeuropäische polnische Premier Donald Tusk sich nach dem Ende der Zwillingsherrschaft 2007 bemühten, das sperrige Thema wieder aus der Tagespolitik zu entfernen. Allerdings unterlief Tusks Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski diesen von der Vernunft gebotenen Kurs und trieb seine persönlich intonierten Angriffe auf den Bund der Vertriebenen und dessen Vorsitzende Erika Steinbach so sehr auf die Spitze, dass er sogar vom deutschen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert öffentlich zur Ruhe gerufen wurde.

In Warschau möchte man heute ungern darin erinnert werden, dass es die Regierung Tusk war, die den Konflikt zur Staatsaffäre gemacht hat. Für Nachdenklichkeit und auch ein Gefühl peinlicher Betroffenheit hat der polnische Spin-Doctor Piotr Tymochowicz mit seinem Bericht darüber gesorgt, wie er die Figur Erika Steinbach konstruiert habe - unter anderem mit 50 Jahre alten revisionistischen Zitaten von Vertriebenen-Vertretern. Dass die polnische Regierung mit national-patriotischen Parolen nach wie vor unter Druck gesetzt werden kann, bewies auch die Kontroverse über die deutsche Minderheit in Polen und die in die Bundesrepublik übergesiedelten polnischen Staatsbürger. Das gesamte rechte Lager in Polen verlangt die Anerkennung einer polnischen Minderheit in Deutschland. Berlin stellt sich dagegen, weil es sich bei der "Polonia", wie die Auslandspolen genannt werden, nicht um eine historisch gewachsene Minderheit handelt, sondern um Immigranten.

Den nun in letzter Minute gefundenen Kompromiss, wonach Berlin ein Dokumentationszentrum für die Polonia finanziert und die Förderung des muttersprachlichen Unterrichtes verspricht, geißelt die Opposition als völlig unzureichend. Gleichzeitig mahnt die deutsche Minderheit in Oberschlesien den Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts an, bislang verfügt sie über keine einzige zweisprachige Schule.

Während in Berlin sämtliche Bundestagsparteien für gute Beziehungen zu den polnischen Nachbarn eintreten - umstritten ist im Grunde nur die Einbindung der organisierten Heimatvertriebenen in den Dialog -, spaltet das Verhältnis zu den Deutschen nach wie vor die polnische Gesellschaft. Die PiS organisierte im Parlament eine Konferenz über den Nachbarschaftsvertrag als "Gegengewicht zu den offiziellen Jubelfeiern". Wieder einmal wurden Erika Steinbach als Gefahr für Polen und die Ostsee-Pipeline als "Ausfluss deutscher Arroganz" gebrandmarkt.

© SZ vom 17.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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