Schwarz-gelbe Koalition:Pfingsten? Nein danke!

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In der Bibel gilt Pfingsten als Fest der Erneuerung - und in der Politik? Union und FDP haben gerade ihr nukleares Glaubensbekenntnis widerrufen. Sie schwören dem ab, was für sie jahrzehntelang als Fortschritt galt. Aber Pfingsten ist auch ein Fest der gemeinsamen Sprache, ein Kommunikationswunder. Davon ist Merkels Regierung allerdings weit entfernt.

Heribert Prantl

Pfingsten gilt als Ereignis, an dem neuer Geist in die Menschen fährt und sie lehrt, das Richtige zu sagen. Pfingsten ist, so sagen die Theologen, die Stunde der Offenbarung. Sie reißt die Gläubigen heraus aus den Zusammenhängen, in denen sie bisher gedacht und gelebt haben. Pfingsten ist also die totale Veränderung. Das Pfingstwunder in der Apostelgeschichte berichtet von einem gewaltigen Brausen, von einem Sturm, der die alten Gewissheiten, das vermeintlich Festgefügte und Feststehende hinwegfegt. Und auf einmal, so steht geschrieben, begannen die Apostel in fremden Sprachen zu reden und zu predigen.

Energiewende in Deutschland: Zweieinhalb Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschließen Union und FDP (im Bild: Umweltminister Norbert Röttgen (CDU, v.l.), Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU))die Abschaltung aller deutschen Kernkraftwerke bis 2022 - und schwören damit dem ab, was für sie bisher der Fortschritt war. (Foto: dapd)

Es ist Pfingsten. Auch in der Politik? Die CDU/CSU redet in einer Sprache, von der sie bisher kein Wort kannte. Sie predigt Lehren, die für sie bisher Irrlehren waren. Es passiert Unerhörtes: Die größte deutsche Partei widersagt der Kernenergie, sie widerruft ihr nukleares Glaubensbekenntnis, sie schwört dem ab, was für sie der Fortschritt war. Was gestern gut war bei den Christdemokraten, gilt jetzt als schlecht, was gestern Zukunft war bei den Christsozialen, ist jetzt Vergangenheit.

55 Jahre, nachdem die Regierung des Nachkriegskanzlers Konrad Adenauer ein Atomministerium geschaffen hat, 55 Jahre nachdem der erste Atomminister, es war Franz Josef Strauß, die Kerntechnik zur "bundesdeutschen Existenzfrage" erklärt hat, wird nun die Beendigung genau dieser Kerntechnik zur Existenzfrage erklärt.

Die Union hatte die Kernenergie bis vor kurzem noch inbrünstiger und staatsmächtiger verteidigt als heute den Euro. Nun aber wird Deutschland Zeuge einer politischen Kernschmelze, einer Unionsschmelze: Die alten Parolen werden hastig vergraben, die alten Werte umgekehrt, die bisherige Politik wird zwischengelagert. So etwas hat es in der bundesdeutschen Geschichte noch nie gegeben.

Die Kernschmelze der Union

Keine Kanzlerin bekennt es, kein Minister sagt es, aber sie alle wissen es - wollen es aber sogleich wieder vergessen: Wenn das richtig ist, was jetzt getan wird, dann waren Hunderte Wahlkämpfe der CDU und CSU ein kolossaler Irrtum; dann war der nukleare Glaube der Union ein Aberglaube; dann waren und sind die alten Feindbilder Trugbilder; dann haben diejenigen recht behalten, auf die man einst mit Fingern gezeigt und gegen die man die Polizei hat aufmarschieren lassen.

Wenn das richtig ist, was jetzt propagiert wird, dann standen nicht Christdemokraten und Christsoziale auf der richtigen Seite, sondern die Anderen, die einst langhaarigen, jetzt bürgerlichen Parka- und Pulloverträger, die Grünen und Ostermarschierer, die Leute vom BUND und von Greenpeace und die angeblich suspekten Gestalten der Demonstrationen von Wyhl, Brokdorf und Gorleben. Das ist für die Union ein Kulturschock und eine Katastrophe.

Die Union hat davon gelebt, dass sie sich als das Gegenüber zur bunten, manchmal chaotischen Anti-Atomkraft-Szene verstand: als eine der strahlenden Zukunft zugewandte Kraft. Die Regierung Merkel hatte noch vor einem guten halben Jahr der Atomindustrie einen riesigen roten Teppich ausgerollt und die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke als Großtat gefeiert. Jetzt zeigt sich, dass sie ihre politische Kraft falsch eingesetzt hat. Das ist bitter.

Und weil das so bitter ist, versucht Angela Merkel, beim Atomaussstieg so schnell zu agieren, dass einem Hören, Sehen und Gedächtnis vergehen. Die Erinnerung an den Triumph des Atomlobbyismus, den Merkel vor kurzem noch ermöglicht hat, soll ausgelöscht werden von Triumph der regenerativen Energien, den sie jetzt verkündet. "Zukunfts-Strom" - das ist das von ihr neu geschaffene Wort, das vergessen machen soll, was gewesen ist. Das also soll das politische Pfingsten der Union sein: Ausbruch aus dem Hergebrachten.

Die Regierung Merkel hatte sich und das Land noch einmal in das nukleare Gefängnis gesperrt, obwohl dessen Gitter von der rot-grünen Vor-Vorgänger-Regierung schon gesprengt worden waren. Es ist dies eine nun viel zu späte Korrektur einer historischen staatlichen Fehlentscheidung: Der Einstieg in die Atomverstromung war ja ursprünglich nicht der Wunsch der Energiekonzerne, im Gegenteil. Die Nutzung der Atomenergie wurde vor einem halben Jahrhundert von der Politik gegen die Energiekonzerne durchgesetzt, die sich damals mit Kohle gut eingerichtet hatten. Die Atomverstromung wurde vom Staat teils mit Druck, teils mit hohen Subventionen erzwungen. Der Energierechtsexperte Peter Becker hat das in seinem wunderbar informativen Buch "Aufstieg und Fall der deutschen Stromkonzerne" akribisch dargelegt.

Der Staat spielte nun fünfzig Jahre lang die Bad Bank für die Energiekonzerne: Er nahm ihnen die Aufgabe der Entsorgung des Atommülls ab, gewährte ihnen Steuervorteile und begrenzte die Haftung der Konzerne für nukleare Unfälle auf Summen, die in Anbetracht der Gefahren lächerlich waren. Das heißt: Die Konzerne strichen die Gewinne ein, der Staat übernahm die Risiken. Das waren paradiesische Zustände für die Stromkonzerne. Aus diesem Paradies wollten und wollen sie sich nicht mehr vertreiben lassen. Aber: Der Staat hat einst das nuklear-monetäre Paradies geöffnet, er kann es auch wieder schließen. Angesichts von Fukushima wurde der Kanzlerin klar, auf welch ungeheuere Risiken sich der Staat und ihre Regierung eingelassen hatten.

Der Atomkonsens, der keiner ist

Ist wirklich Pfingsten in der Politik, auch in der CDU/CSU? Pfingsten ist ein Fest der gemeinsamen Sprache, Pfingsten ist ein Kommunikationswunder, ein Ereignis, das die Sprachverschiedenheiten aufhebt und so einer gemeinsamen Idee Ausdruck verleiht.

Das kann man von der neuen Atomausstiegspolitik der Regierung Merkel nicht sagen. Nicht einmal die Koalition findet zu einer gemeinsamen Sprache, geschweige denn, dass sie diese gemeinsame Sprache mit den jetzigen Oppositionsparteien fände, die den Ausstieg schon vor neun Jahren gesetzlich formuliert hatten. Und schon gar nicht findet die Regierung Merkel zu einer gemeinsamen Sprache mit den Energiekonzernen.

Der sogenannte Atomkonsens der Regierung Merkel ist also gar kein Konsens, er findet den Anschluss nicht an den Atomkonsens der Regierung Schröder. Dieser Atomkonsens I war einer, auf den auch die Energiekonzerne in Verhandlungen verpflichtet worden waren. Die Regierung Merkel hat solche Verhandlungen gar nicht geführt, sie hatte sich ja erst kurz vorher dem Lobbyismusexzess der Atomindustrie gebeugt. Daher muss sie den Atomausstieg II nun konfrontativ durchsetzen. Keine gemeinsames Sprache, kein Pfingsten also.

Die Regierung Merkel hat Wind gesät, als sie sich von der Atomindustrie die Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke diktieren ließ. Die schwarz-gelbe Koalition spaltete eine Gesellschaft, die sich im Ausstieg schon ziemlich einig war; sie hat damit der Anti-Atombewegung ungeheueren Auftrieb gegeben, also Sturm geerntet. Das ist das Brausen, dem Merkel nun nachgeben musste. Zu einem echten Pfingsten fehlt noch viel.

© SZ vom 11.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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