Profil:Ilja Jaschin

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(Foto: AP)

Leidensfähiger russischer Oppositioneller, der nicht aufgeben will.

Von Silke Bigalke

Er hat die Proteste angeführt, ganz routiniert. Im roten Kapuzenpulli unter einem schwarzen Jackett ist Ilja Jaschin auf eine kleine Mauer am Puschkin-Platz gestiegen. Tausend Menschen hatten sich dort laut Polizei versammelt, wahrscheinlich waren es eher doppelt so viele. "Das ist unsere Stadt", rief Jaschin, und viele stimmten ein. Unter den versammelten Oppositionspolitikern war er der lauteste.

Sie waren gekommen, um für eine faire Wahl zum Moskauer Stadtparlament zu demonstrieren. Denn zur Abstimmung Anfang September sollen Jaschin und andere Kandidaten gar nicht erst zugelassen werden. Sie stolpern über eine altbekannte Hürde: Um antreten zu dürfen, mussten sie als unabhängige Kandidaten Unterschriften sammeln - von mindestens drei Prozent aller Stimmberechtigten in ihren Wahlkreisen. Ein probates Mittel, um unerwünschte Kandidaten herauszufiltern. Es ist schwer genug, Passanten um ihre Daten zu bitten, wenn man auf der Straße angefeindet und von Kreml-nahen Medien verunglimpft wird. Auch Jaschin ist schon als ein vom Ausland finanzierter Agent, als Verräter, dargestellt worden. Nun will die Wahlkommission einen großen Teil der gesammelten Unterschriften nicht anerkennen. Der 36-Jährige, der bereits Lokalabgeordneter im Moskauer Stadtteil Krasnoselskij ist, hätte gute Chancen - wenn er nur antreten dürfte.

Bei dem Protest am Sonntag rief Jaschin einen Oppositionspolitiker nach dem anderen nach vorne. Ljubow Sobol sprach, sie arbeitet mit Alexej Nawalny zusammen und ist in Hungerstreik getreten, bis sie zur Wahl zugelassen wird. Dmitrij Gudkow war da, der bis 2016 als letzter Kreml-kritischer Abgeordneter in der Staatsduma saß, und erzählte davon, wie er bei Regen und bei Hitze Stimmen gesammelt hat. Diesen Dienstag läuft die Frist ab, bis zu der die Wahlkommission die Anträge prüfen will. Die sonst so zersplitterte Opposition tritt derzeit ungewohnt einig auf. Und ungewohnt viele Menschen kamen, um sie zu unterstützen, obwohl diese Demo nicht genehmigt war. Und obwohl jeder Teilnehmer riskierte, festgenommen zu werden.

Ilja Jaschin weiß, wie Protest funktioniert. Er ist schon lange dabei, ist schon oft festgenommen worden, schon oft umsonst angetreten. Bereits seine Diplomarbeit hat er über Straßenproteste geschrieben, hat Parteien gewechselt und erlebt, wie sich die russische Opposition immer wieder durch Streitigkeiten selbst ausgebremst hat. Als Teenager trat er der liberalen Oppositionspartei Jabloko bei, deren Jugendorganisation er leitete. Seit 2008 führte er der Bewegung "Solidarnost" an, die oppositionelle Kräfte bündeln wollte. Später wurde er Mitglied der "Partei der Volksfreiheit", gilt als Freund und Weggefährte von deren Gründer Boris Nemzow. Als Nemzow im Februar 2015 auf der Moskwa-Brücke am Kreml erschossen wurde, reiste Jaschin nach Tschetschenien und schrieb einen Bericht über Präsident Ramsan Kadyrow. Er warf ihm vor, hinter dem Mord zu stecken. Dazu gehört Mut. Die Proteste am Sonntag endeten für ihn wieder auf der Polizeistation. "Wollt ihr eine alternativlose Duma?", hatte Jaschin den Leuten zuvor zugerufen und sie zum Regierungssitz des Moskauer Bürgermeisters geführt. Dort klopften sie an die große hölzerne Tür. Zwei Straßen weiter wollten sie dann auf den Chef der Wahlkommission warten, ihre Zelte vor dessen Büro aufschlagen. Am Abend nahm die Polizei laut dem Portal Owd-Info 38 Menschen fest, darunter Jaschin. Der hat angekündigt, nun täglich zu protestieren.

Im September wird in vielen Regionen Russlands gewählt. Damit die Regierungspartei "Einiges Russland" dabei die Oberhand behält, greift sie dieses Mal auf besonders viele Tricks zurück. In Moskau etwa ist sie derart unbeliebt, dass viele Mitglieder lieber als unabhängige Kandidaten antreten. Sie müssten also auch Unterschriften sammeln, doch von ihnen hört man bisher keine Klagen, dass es nicht gereicht hätte.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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