Profil:Alexis Tsipras

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Der Premier in Athen gibt sich mal als Rebell und mal als Musterschüler.

Von Christiane Schlötzer

(Foto: Angelos Tzortzinis/dpa)

Nervosität ließ er nicht erkennen, lieber lobte er sich selbst. Vor dem Vertrauensvotum im griechischen Parlament, das über sein politisches Schicksal entscheiden sollte, sprach Alexis Tsipras über seinen "Mut" und das "Risiko", das er auf sich genommen habe, um einen außenpolitischen Dauerstreit zu lösen, den er von seinen konservativen Vorgängern geerbt hatte. Als das Ergebnis der Abstimmung in Athen dann am Mittwochabend, eine Stunde vor Mitternacht, verkündet wurde, dürfte Tsipras kaum überrascht gewesen sein. Denn der Chef der griechischen Linkspartei Syriza überlässt nichts dem Zufall.

Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass sein rechtspopulistischer Koalitionspartner die Flucht aus der Regierung ergreifen würde, führte Tsipras zahlreiche Gespräche hinter verschlossenen Türen. Und Tsipras' Getreue bearbeiteten erfolgreich genau so viele überwiegend eher nach rechts neigende, unabhängige Abgeordnete, dass es zur absoluten Mehrheit reichte: mit 151 Stimmen, knapper hätte das Votum für den Premier nicht ausfallen dürfen. Das Parlament hat 300 Mitglieder.

Als Tsipras im Januar 2015, auf dem Höhepunkt der griechischen Finanzkrise, erstmals eine Parlamentswahl gewann, gaben ihm seine Gegner nur eine kurze Amtszeit. Er war 40 Jahre alt, hatte vorher nie ein Regierungsamt inne und versprach, die "Spardiktate" der internationalen Geldgeber in der Luft "zu zerreißen". Auf Wahlpartys spielte seine Syriza "Bella Ciao", die Hymne der italienischen Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. 36,3 Prozent der Griechen gaben dem Wutfänger mit dem Lausbubencharme ihre Stimme. Das griechische Wahlrecht belohnt die erste Partei mit 50 Extrasitzen, aber nur mit den schillernden Rechtspopulisten gab es eine bequeme Mehrheit. Die Partner verband allein ihr Widerstand gegen die Reformauflagen der Kreditgeber.

Es folgte eine Achterbahnfahrt, Griechenland stand kurz vor dem Rauswurf aus der Euro-Zone. Die ersten Monate der neuen Regierung waren kostspielig, es ging wertvolle Zeit verloren. Aber Tsipras ließ den roten Bürgerschreck schnell hinter sich, und nach einem Referendum und einer Neuwahl wurde er auch seine innerparteilichen Gegner vom äußersten linken Flügel los. Dann setzte er die von EU und Internationalem Währungsfonds geforderten unbeliebten Reformen weitgehend durch. Dabei half, dass es auf den Straßen ruhig blieb - eine Art Protesthemmung gegen Syriza. Als die Partei noch in der Opposition war, sah das anders aus.

Tsipras stammt aus einer politisch links engagierten Athener Mittelschichtsfamilie, er studierte Bauingenieurswesen und Stadtplanung. Seine eigene Familie schottet er von der Öffentlichkeit ab. Es ist bekannt, dass seine Partnerin seine Jugendliebe ist, das Paar hat zwei Kinder. Seine politische Karriere begann er, damals war er noch in der kommunistischen Jugend, als Schulbesetzer.

Dass er auch Talent zum Musterschüler hat, zeigte Tsipras, als er sich nach der Wahl bei Kanzlerin Angela Merkel in Berlin vorstellte. Er hatte einen Stapel Akten dabei, alle durchgearbeitet. Als Griechenland im August 2018 dann das Kreditprogramm verlassen durfte, zeigte der Premier wiederum seinen Sinn für Inszenierungen: Er verkündete das Ende der jahrelangen Irrfahrt durch schwere See auf der Insel Ithaka, in den Epen Homers die Heimatinsel des Helden Odysseus.

Vor dem Misstrauensvotum gaben Umfragen Tsipras kaum Chancen, jetzt Wahlen zu gewinnen. Regulär stehen sie im Herbst an. Ob der Taktiker und Überlebenskünstler so lange mit hauchdünnen, womöglich wechselnden Mehrheiten weiterregieren kann, ist offen. Vor der nächsten Hürde steht er schon kommende Woche, mit dem Mazedonien-Abkommen, das der Grund für den Verlust seines Koalitionspartners war. Tsipras dürfte wieder versuchen, nichts dem Zufall zu überlassen.

© SZ vom 18.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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