NSU-Prozess:Zschäpe und die Schmerzgrenze

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Der Psychotherapeut Joachim Bauer ist unerfahren mit Straftätern. Warum hat Zschäpe ihn gewählt?

Von R. Stadler und A. Ramelsberger, München

Vielleicht hat Beate Zschäpe in ihrer Zelle ja eines der Bücher gelesen, die der Bestsellerautor Joachim Bauer verfasst: "Das Gedächtnis des Körpers" vielleicht, in dem er beschreibt, "wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern". Oder "Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt"? Themen, die die Hauptangeklagte im NSU-Prozess durchaus interessieren könnten. Vielleicht ist Beate Zschäpe dadurch auf die Idee gekommen, dass sie ihr Inneres nach fast vier Jahren Prozess doch noch öffnen sollte - als letzte Chance, den Prozessverlauf zu ihren Gunsten zu ändern.

Denn der vom Gericht bestellte Gutachter Henning Saß hatte ihr bestätigt, voll schuldfähig zu sein und ihrer Geschichte nicht geglaubt, sie sei nur das Opfer ihrer zwei mordenden Lebensgefährten gewesen. Mit dem Aachener Professor Saß wollte Zschäpe nicht reden. Nun aber überlegt sie, mit dem Bestsellerautor Bauer zu sprechen. Er ist Psychotherapeut und Professor an der Uni Freiburg. Zschäpe hält ihn laut ihrem Anwalt Mathias Grasel für "fachkundig".

Nur wenige Fachleute sind Experten auf dem Gebiet der Schuldfähigkeit von Straftätern

Das wäre dann der vierte Psycho-Fachmann, der sich mit Zschäpes Seele befasst. So wie sich bereits fünf Anwälte um sie kümmern. Nach dem Psychiater Saß und seinem Münchner Kollegen Norbert Nedopil, der sie während einer depressiven Verstimmung betreute, tritt nun also Joachim Bauer auf den Plan - noch während das Gericht darauf wartet, dass der von Zschäpes Altverteidigern beauftragte Psychiatrie-Professor Pedro Faustmann seine Kritik an der Methode des Gutachters Saß vorträgt.

Als im NSU-Prozess bekannt wird, dass sich Zschäpe von Bauer begutachten lassen würde, sitzt der Freiburger Neurobiologe und Psychotherapeut gerade auf der Bildungsmesse didacta in Stuttgart. Er spricht über Schule, Schüler, Work-Life-Balance. Bauer coacht seit Jahren gestresste Lehrer. Später diskutiert er über "Hate Speech auf dem Schulhof". Bauer mahnt, die verbale Gewalt an den Schulen zu stoppen. Die Forschung habe gezeigt, dass die Sprache oft physische Gewalt zur Folge habe.

Gewalt und Sprache - das sind Themen, die im NSU-Prozess durchaus virulent sind. Unklar ist jedoch, ob Bauer jemals Gutachten über die Gefährlichkeit und Schuldfähigkeit von Straftätern erstellt hat, ein sehr spezielles Gebiet der Psychiatrie, auf dem nur wenige Fachleute bewandert sind. Bauer war am Freitag nicht für Fragen zu erreichen, Kollegen sagen, sie wüssten nicht, dass er sich auf die Psychologie von Straftätern spezialisiert hätte. Ohnehin ist das Gericht nicht gezwungen, den von der Verteidigung angefragten Psychotherapeuten zu hören. Das Gericht hat den Psychiater Saß beauftragt, der hat sein Gutachten bereits erstattet, mit diesem Gutachten wird jetzt gearbeitet. Und die Verteidigung kann daran Kritik üben.

In seiner Vita, die Professor Bauer im Internet veröffentlicht hat, ist von Gutachten über Straftäter keine Rede. Dafür führt er auf, dass ihn das Magazin Cicero dreimal in seiner Liste der einflussreichsten, deutschsprachigen Intellektuellen aufgeführt habe. Ohnehin soll nun zunächst eine Justizwachtmeisterin aus der Haftanstalt Stadelheim vor Gericht erscheinen, die Auskunft über Zschäpes Verhalten in der Haft gibt.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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