Bundeswehr: "Fux-Test":"Vorgesetzte wussten vom Hochzug-Kult"

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Der Kommandeur der Mittenwalder Gebirgsjäger über quälende Rituale, die Verantwortung der Soldaten - und Känguru-Hoden im RTL-Dschungel-Camp.

H. Effern

Der Kommandeur der Gebirgsjärger in Mittenwald, Oberstleutnant Fred Siems, spricht von einem "absoluten Tiefpunkt" seines Soldatenlebens. Am Dienstag war bekanntgeworden, dass Mitglieder des Hochzugs in der Edelweiß-Kaserne Kameraden mit einem Aufnahmeritual quälten, dem "Fux-Test". Ein ehemaliger Gebirgsjäger beschwerte sich, er habe rohe Schweineleber und Rollmöpse essen, Hefe schlucken und Alkohol trinken müssen, bis er sich erbrach. Der Fux-Test war eingebettet in den "Hochzug-Kult", ein Hierarchiesystem, in dem sich Soldaten, die schon länger dabei waren, von Neulingen bedienen ließen. Derzeit laufen die Ermittlungen. Ergebnis: Nur Mannschaftsdienstgrade waren beteiligt.

Rohe Leber, Hefe und Rollmops - Bestandteile eines umstrittenen Aufnahmerituals, dem Bundeswehrrekruten in der Edelweißkaserne in Mittenwald unterzogen wurden. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, glaubt Ihnen nicht, dass Ihre Ausbilder von den Ritualen im Hochzug nichts wussten.

Fred Siems: Da hat er teilweise recht. Die jetzigen direkten Vorgesetzten haben aus ihrer Zeit als Mannschaftsdienstgrade vom Hochzug-Kult gewusst, dachten aber, dass er nicht mehr praktiziert wird. Der hat sich Ende der achtziger Jahre herausgebildet. Ende der neunziger Jahre haben damalige Zugführer bereits massiv gegengesteuert. Der Hochzug-Kult und der Fux-Test sind damals mehrfach verboten worden. Die Wehrpflichtigen haben sie aber im Geheimen weiterpraktiziert. Deshalb hat der Test auch außerhalb der Kaserne und der Dienstzeit stattgefunden.

SZ: Haben Sie oder Ihre Offiziere bewusst die Augen zugedrückt?

Siems: Nein. Die Begriffe Hochzug-Kult und Fux-Test habe ich bis zum Bekanntwerden der Eingabe beim Wehrbeauftragten nie zuvor gehört. Im Hochzug-Kult hieß das erste Gebot: Es ist streng verboten, mit Vorgesetzten darüber zu sprechen. Das wurde seit Generationen bei den Mannschaftssoldaten mündlich weitergegeben. Die haben das stillschweigend unter sich ausgemacht. Besonders ehemalige Hochzugs-Mitglieder haben eine üble Rolle bei diesem Ritual gespielt.

SZ: Liefen solche Rituale immer schon so widerlich ab?

Siems: Offensichtlich hat sich die Heftigkeit in den letzten Jahren verstärkt. Soldaten, die seinerzeit den Fux-Test mitgemacht haben, beschreiben, dass er eine körperliche Herausforderung im Bereich Klettern und ähnlichen Dingen war, eine Art Konditionstest. Aber er hatte nichts mit entwürdigenden Handlungen zu tun, mit Erniedrigung und der Nötigung, Bier in großen Mengen zu trinken.

SZ: Wer musste den Test absolvieren?

Siems: Soldaten, die aus der Grundausbildung in den Hochgebirgsjägerzug versetzt wurden. Nach unseren Ermittlungen hatte jeder Soldat die Möglichkeit, nein zu sagen und den Test abzubrechen.

SZ: Mussten Verweigerer mit Repressalien rechnen?

Siems: Nein, aber wir sprechen da natürlich von einem enormen Gruppenzwang. Die Prüflinge wussten vorher nicht, was auf sie zukam.

SZ: Psychologen halten Eliteeinheiten wie die Gebirgsjäger für besonders anfällig, wenn es um Gruppenrituale geht.

Siems: Nein, überhaupt nicht. Ich sehe die Gebirgsjägertruppe auch nicht als Eliteeinheit. Wir sind nur im schwierigsten Gelände unter extremen Witterungsbedingungen ausgebildet.

SZ: Von Ritualen hört man auch aus anderen Kasernen. Hat die Bundeswehr prinzipiell ein Problem damit?

Siems: Die Bundeswehr ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Wenn ich heutzutage Fernsehsendungen sehe wie das Dschungel-Camp, wo irgendwelche Pseudoprominente Känguru-Hoden oder Ähnliches essen, fragt man sich schon, was signalisieren wir heutzutage unseren jungen Leuten? Was hat das mit Wertevorstellungen oder Idealen zu tun?

SZ: Ist die Bundeswehr mit ihren Wehrpflichtigen überfordert?

Siems: Nein, unser Führungspersonal ist sehr gut ausgebildet. Natürlich gibt es einige, die es weniger gut machen, andere sind klasse. Irgendwo hört Dienstaufsicht aber auch auf. Man kann nicht verlangen, dass ein Gruppenführer nach Dienstschluss bei seinen Leuten auch noch auf der Stube schläft.

SZ: Ist jeder Soldat für sich selbst verantwortlich?

Siems: Das Soldat-Sein hört nicht beim Verlassen einer Kaserne auf. Auch nicht, wenn man sich am freien Wochenende ohne Uniform bewegt. Die Pflicht zur Kameradschaft kann man nicht ablegen. Wenn ein aktiver Mannschaftsdienstgrad so etwas wie den Fux-Test nicht verhindern kann, muss er es melden. Der Beschwerdeführer hat als Erster mit dem Hochzug-Kult gebrochen.

© SZ vom 12.02.2010/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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