AfD:Harmonie im Flügel-Land

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Die AfD eröffnet in Cottbus den Landtags-Wahlkampf im Osten und versucht, die parteiinterne Kritik an Rechtsaußen Björn Höcke herunterzuspielen.

Von Jens Schneider, Cottbus

Begeisterung in Brandenburg: Thüringens Landeschef Björn Höcke wurde in Cottbus mit Sprechchören gefeiert. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Zur Dramaturgie eines Wahlkampfauftakts gehört immer auch die Reihenfolge der Redner. Meist beginnt, wie an diesem Samstagnachmittag in Cottbus auf dem Platz vor der Stadthalle, der Gastgeber. Es ist Andreas Kalbitz, der Landesvorsitzende der AfD in Brandenburg, der angekündigt wird als "unser angehender Ministerpräsident". Für das Ende einer solchen Veranstaltung sieht die Hierarchie der Redner meist den prominentesten Politiker vor. Es wäre der Bundesvorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, der sich auf den Weg in die Stadt östlich von Berlin gemacht hat. Aber Meuthen hat längst seine Rede gehalten, auch der Landeschef aus Sachsen, Jörg Urban, hat gesprochen, und die Leute warten im Regen auf Björn Höcke.

"Deutsche wehrt & mehrt Euch" steht auf einem der Transparente der AfD-Anhänger in Cottbus

Schlagermusik dröhnt über den Platz. Die Holzbänke sind dicht besetzt. Viele ältere Männer, auch Paare und Eltern mit kleinen Kindern, es gibt eine Hüpfburg. Viele haben Deutschlandfahnen mitgebracht. Weitere Fähnchen wurden verteilt, was man ihnen ansieht, frisch aus der Verpackung sind sie ganz zerknittert. Wenige Schritte entfernt versammeln sich AfD-Gegner zu einem Bürgerfest im Puschkinpark, ihr Motto: "Cottbus bleibt bunt". Einige tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Moin Liebe" auf der Vorderseite und "Tschüss Hass" auf dem Rücken. Auf Plakaten steht "Platzverweis: Höcke". Auf dem Platz vor der Stadthalle verzögert sich die Ankunft der schweren schwarzen Limousine aus Thüringen. Als Höcke eintrifft, kündigt sein brandenburgischer Gastgeber ihn mit einem Blick in den Himmel an: Er werde sich den Hinweis verkneifen, dass die Sonne herausgekommen ist. Höcke stellt sich in den lauten Beifall vorn an die Bühne. Er winkt mit in den Himmel gestreckten Händen. Sprechchöre mit seinem Namen werden laut, die ersten Reihen empfangen den Thüringer AfD-Chef als wären seine Parteikollegen, auch Bundessprecher Meuthen, nur das Vorprogramm gewesen.

Die Wahlkämpfer bemühen sich hier um Harmonie, während der Streit in der Partei am Wochenende weiter eskaliert, einige westdeutsche AfD-Landesfürsten Höcke herausfordern. Knapp eine Woche ist es her, dass Höcke auf dem Treffen der von ihm angeführten rechtsnationalen Gruppierung "Flügel" den Parteivorstand angriff. Die Attacke empörte die Bundesspitze. Öffentlich äußerten hundert AfD-Funktionäre Kritik an Höcke. Die AfD sei und werde keine Höcke-Partei, warnten sie ihn.

Der angegriffene Angreifer zog sich zurück, ließ Presseanfragen unbeantwortet. Dies ist der erste große Auftritt danach, am Sonntag folgt einer im Nachbarland Sachsen. In beiden Ländern wird am 1. September gewählt, einige Wochen danach in Thüringen. Der Osten gilt in der AfD als "Flügel"-Land. Brandenburgs Landeschef Kalbitz gehört dazu, ebenso sein Kollege aus Sachsen. Während Höcke spricht, trägt ein junger Mann ein riesiges Transparent durch die Reihen. Auf einer Seite steht, dass die "AfD-Demokraten" "unser Volk retten" sollen, auf der Rückseite: "Deutsche wehrt & mehrt Euch".

Höcke heischt um Beifall mit Attacken gegen den Brandenburger Innenminister und den Verfassungsschutz, der Zuhörer geschickt haben soll. Die meisten Beamten, egal bei welchem Dienst, hätten ihr Herz bei der AfD, spottet er. Und erntet "Höcke, Höcke"-Sprechchöre mit Angriffen auf die Bundesregierung, die "die Abschaffung des deutschen Volkes" plane. Er setzt auf von ihm bekannte Formeln: "Heimat verliert man auch dadurch, dass man zur Minderheit im eigenen Land wird", sagt er. Die anderen Parteien, so stellt er es dar, "wollen das im Osten so schnell wie möglich umsetzen".

Westdeutsche AfD-Politiker: Höcke soll als Bundesvorstand kandidieren und scheitern

Höcke stammt wie sein brandenburgischer Kollege Kalbitz aus dem Westen, beide spielen die Ost-Karte - so wie Meuthen. Er umwirbt die Zuhörer: "Man könnte sagen, im Westen war alles besser, auch die Gehirnwäsche." Im Osten, wo die AfD besonders stark ist, würden die Menschen besonders unabhängig denken. Meuthen geht so mit dem Problem um, dass manche in der AfD eine Kluft zwischen der Weltsicht vieler Mitglieder im Osten und einer Mehrheit im Westen sehen, als gäbe es zwei Parteien in einer.

Aber Risse, Bruchlinien oder gar die Gefahr einer Spaltung, davon soll an diesem Samstag keine Rede sein. Höcke redet darüber nicht, Meuthen ruft mit Blick auf politische Gegner aus, die seine Partei vor der Spaltung sehen: "Vergesst das, ihr Traumtänzer!" Gewiss, die AfD streite, sie ringe um den politischen Weg. Aber dies sei Ausdruck ihres Engagements: "Mit unserer Härte kommt das gesamte verweichlichte Polit-Establishment nicht klar."

Es steht wohl ein Härtetest an. Laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fordern westdeutsche AfD-Politiker Höcke auf, beim nächsten Parteitag für die Wahl des Bundesvorstands anzutreten, im Vertrauen darauf, dass er durchfallen würde. Bisher hat er sich nie getraut. Der rheinland-pfälzische AfD-Chef Uwe Junge sagte der Zeitung, wenn jemand wie Höcke meine, nur er wisse, wo es langgehe, dann solle er auch "seinen Hut in den Ring werfen". Er müsse jetzt den Schneid haben, sich den Mitgliedern zu stellen. "Dann wäre das dann auch entschieden. Und ich bin mir sicher, er wird scheitern." Der hessische AfD-Chef Klaus Herrmann sagte, mit seinen Attacken habe Höcke die Machtfrage gestellt. Deshalb dürfe er sich beim Bundesparteitag im November nicht verstecken. Er müsse "den Mut haben, sich zu stellen". Da Höcke sage, er könne es besser, dürfe er sich nicht nur für eine nachgeordnete Position bewerben. Es gehe um den Vorsitz.

Höcke gilt jedoch als einer, der Risiken scheut. So beschreiben ihn Parteifreunde. Er suche seine Bühne, wo er sicher ein Heimspiel hat, wie in Cottbus. Im Osten hofft die AfD, bei den Wahlen stärkste Partei zu werden. Kalbitz erklärt den Osten zur AfD-Avantgarde, auf die der Westen folgen werde, "auch wenn da noch ein paar Lerneffekte gesetzt werden müssen". Das kommt gut an auf dem Platz vor der Stadthalle.

© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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