100 Tage SPD-Vorsitz:Sigmar Gabriels Marathonlauf

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In seinen ersten 100 Tagen als SPD-Chef hat sich Gabriel gut geschlagen: Der Kraftmeier ist ein Mannschaftsspieler geworden. Doch der Weg zurück an die Macht ist ein Mammutprojekt.

Susanne Höll

Sage keiner, Sigmar Gabriel würde nicht ernst genommen. 100 Tage wird er an diesem Samstag im Amt des SPD-Vorsitzenden sein. Bei seiner Wahl im düsteren November war sich kaum einer sicher, ob der Chef einer schwerst depressiven 23-Prozent-Partei alsbald mit Respekt und öffentlichem Ansehen rechnen darf.

Hat Mannschaftsgeist entwickelt: SPD-Chef Sigmar Gabriel (Foto: Foto: dpa)

Der Düsseldorfer Karneval zeigte: Man darf hoffen. Bewaffnet mit einem Schwert ritt ein Papp-Gabriel auf einem roten Gaul durch die Straßen - allein das Pferd war verendet, längst skelettiert. Für Sozialdemokraten ist dieses Bild schmerzhaft. Der Mann aus Goslar aber darf sich bei aller derben Überzeichnung geschmeichelt fühlen: Für zweitrangige Politiker interessiert sich schließlich nicht einmal ein Narr.

Zu den Gepflogenheiten des politischen Betriebs gehört es, zur 100-Tage-Frist Bilanz zu ziehen. Und in Gabriels erstes Zeugnis kann man schreiben: Er hat seine Sache, den Umständen entsprechend, ganz gut gemacht. Ihm gelang, was nicht unbedingt zu erwarten war - er fand die Kraft, Versuchungen zu widerstehen. Er diszipliniert sich selbst und, überraschender noch, er lässt sich disziplinieren.

Machtfrage geklärt: Der Chef heißt Gabriel

Entgegen allen berechtigten Befürchtungen hat sich der ebenso ambitionierte wie sprunghafte Gabriel Mannschaftsgeist angeeignet. Er akzeptiert den Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier nicht nur, er folgt sogar seinem Rat, manchmal jedenfalls.

Gäbe es Steinmeier nicht, hätte die SPD in Person von Gabriel den Rückzug aller deutschen Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan in den nächsten drei Jahren versprochen und den Ruf der SPD als verlässlicher Partner in internationalen Dingen ruiniert. Heute spekuliert niemand mehr darüber, dass der Niedersachse den einstigen Kanzlerkandidaten alsbald aus dem Fraktionsamt mobbt, weil ihm die Parteibühne zu klein ist und er sich ohnehin für den besseren, ach was, den besten Oppositionschef aller Zeiten hält.

Gabriel toleriert es, dass sich die Steinmeiers der SPD an seinen Rockschößen festkrallen und ihn am Boden halten, wenn er in übergroßer Begeisterung für sich und seine Ideen wie ein Ballon in die Höhe steigen will. Die Machtfrage ist aber längst geklärt. Der Chef heißt Gabriel, er ist es auch, erstmals in der jüngsten SPD-Geschichte hat der Vorsitzende keinen ernstzunehmenden Konkurrenten. Für die Partei ist das nicht nur von Glück, schließlich zeugt es von der personellen Schwäche der Sozialdemokraten. Der Name Wowereit fällt in diesen Tagen nur noch dann, wenn nach dem Verantwortlichen für Berlins eisige, unpassierbare Bürgersteige gefahndet wird.

Obstruktion als Versuchung

Gabriel hat auch einer zweiten Versuchung widerstanden, nämlich der, in der Opposition Obstruktion zu leisten. Sein Vor-Vor-Vor-Vor-Vorgänger Oskar Lafontaine blockierte in den neunziger Jahren die damalige schwarz-gelbe Regierung Kohl, wo immer er es vermochte und ebnete seiner Partei so den Weg zurück in die Regierung.

Heutzutage könnte die SPD Angela Merkel nicht mehr blockieren, selbst wenn sie wollte, dafür fehlt ihr die Mehrheit im Bundesrat. Aber die konditionierte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Regierung unterscheidet die Sozialdemokraten von der Linkspartei und zeigt, dass sie auch in der Opposition ab und an das Wohl des Landes vor das der Partei zu stellen bereit sind.

Wohin Gabriel die SPD führen wird, ist auch nach 100 Tagen nicht viel deutlicher geworden. Der Linksrutsch, von nicht wenigen gewünscht, von anderen befürchtet, hat jedenfalls nicht stattgefunden. Die Hartz-Reformen werden überdacht, eine grundsätzliche Abkehr aber wird es nicht geben, auch die Rente mit 67 bleibt im Grundsatz. Unbezahlbare Wunschlisten schreibt dankenswerterweise niemand in der SPD. Das Verhältnis zur Linkspartei ist nüchterner geworden, geklärt ist es freilich nicht.

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Der Vorsitzende hat sich und seiner Partei ein ambitioniertes Langzeitprojekt verordnet. Die SPD soll wieder das werden, was ihr in ihrer wechselvollen Geschichte Erfolg bescherte: die Partei des sozialen Aufstiegs. Für Millionen Wähler aber war und ist sie die Partei des sozialen Abstiegs. Diese Wähler kann man nur schwer, wenn überhaupt, zurückgewinnen, ihr Vertrauen ist perdu. Warum sonst können die Sozialdemokraten nicht von dem Ärger und Verdruss der Bürger über das schwarz-gelbe Regierungsspektakel profitieren?

Gabriel und die Seinen haben kaum noch Raum und Gelegenheit, um Gestaltungskraft zu demonstrieren. Sie regieren kein einziges großes westdeutsches Flächenland; die Landkarte Deutschlands ist vorwiegend schwarz mit gelben Flecken. Im deutschen Süden ist die Partei kaum mehr existent, in Ostdeutschland hat die Linkspartei die Sozialdemokraten längst überholt.

Die Rückkehr an die Macht im Bund gelingt nur über die Länder. Deshalb konnte Gerhard Schröder 1998 Kanzler werden und Merkel 2005 seine Nachfolgerin. Die SPD ist nicht skelettiert wie das Pferd der Düsseldorfer Narren. Aber sie siecht.

Gabriel hat die Partei vor dem Koma bewahrt. Doch was sind 100 Tage in einem Mammutprojekt? Um Erfolg zu haben, muss er sich noch jahrelang disziplinieren. Vermutlich über 2013 hinaus.

© SZ vom 19.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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