Kriminalfall Tanja Gräff:Wie geht es weiter?

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Der pensionierte Polizist

Ermittelt wurde Spitzbart auf Initiative von Günter Deschunty, einem mittlerweile pensionierten Polizisten, der damals mit dem Fall betraut war. Ende Januar schrieb er einen Leserbrief an die Zeitung Trierischer Volksfreund, in dem er der Polizei schwere Versäumnisse vorwarf, vor allem, was die Suche nach Spitzbart anging. Dieser hätte wenigstens ein wichtiger Zeuge in dem Fall sein können. Die Trierer Polizei reagierte harsch auf Deschuntys Leserbrief. Sie wies die Vorwürfe zurück.

Die Death-Metal-Szene

Fast gegenüber des Fundorts der Leiche, auf der anderen Moselseite, steht ein Gebäude, das an allen Wänden mit Graffiti überzogen ist: Das "Ex-Haus", kurz für "Exzellenz-Haus". Früher wohnten hier die Exzellenzen der preußischen Armee. Heute ist es ein Jugend- und Kulturzentrum. Tanja Gräff war in den Wochen vor ihrem Verschwinden öfter hier. Wegen der Death-Metal-Konzerte. Death Metal ist ein Subgenre der Metal-Musik. Es geht in den Texten um Horror, Folter und Tod.

Tanja Gräff lernte Andreas etwa einen Monat vor ihrem Verschwinden im Ex-Haus kennen. Andreas, der mittlerweile nicht mehr in Trier wohnt und nicht reden will, spielte damals in einer Death-Metal-Band, die auch im Ex-Haus auftrat. Und es gibt Anzeichen, die vermuten lassen, dass Spitzbart auch zu dieser Szene gehörte, sagt Böhm. Er spricht sehr vorsichtig. Er weiß, welche Assoziationen diese Bilder auslösen und sagt, dass die Vorliebe für diese Musik gar nichts heißen muss. Es gehe ihm hier eher um mögliche Verbindungen.

Kriminalfall Tanja Gräff: "Ich habe das Vertrauen in die Trierer Polizei verloren", sagt Waltraud Gräff. Endlich hat sie Gewissheit über den Tod ihrer Tochter Tanja.

"Ich habe das Vertrauen in die Trierer Polizei verloren", sagt Waltraud Gräff. Endlich hat sie Gewissheit über den Tod ihrer Tochter Tanja.

(Foto: Schneider)

Aber eines ist schon komisch: Andreas spielte nach Tanjas Verschwinden auch weiter in Death-Metal-Bands. Im Video einer dieser Bands wird eine junge Frau gezeigt, die bestialisch erschlagen wird. Andreas hat, wie sein Handy beweisen soll, für den Abend, an dem Tanja verschwindet, tatsächlich ein Alibi.

Nachdem Spitzbart schließlich ermittelt war, wurde er befragt, erinnert sich Böhm. Aber er sagte nicht viel. Nur, dass auch er auf dem Fest gewesen sei. Und später sei er dann heimgefahren. Und warum konnte sein Handy zu diesem Zeitpunkt immer noch an der FH geortet werden, wie die Polizei herausfand? Er habe im Auto übernachtet, erklärte Spitzbart. Tanja Gräff kenne er übrigens nicht.

"Mit dieser Aussage hat man es dann ruhen lassen", sagt Böhm. "Es gab keine ausreichenden Ermittlungen."

Die Schreie

Es gibt in diesem Fall noch mehr Merkwürdigkeiten. Ein Anwohner gab an, dass er zum Zeitpunkt des Verschwindens von Tanja Gräff um 4.30 Uhr von einem panischen Frauenschrei in der Nähe der stillgelegten Kabinenbahn geweckt worden sei. Die Kabinenbahn ist heute abgerissen, lag damals aber in unmittelbarer Nähe zur FH und in unmittelbarer Nähe zum Fundort der Leiche.

Sechs Tage nach dem Verschwinden durchsuchte die Polizei außerdem in einer großen Razzia Wohnungen in der Pallienstraße, ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Leichenfundort. Anwohner hatten Hilfeschreie einer jungen Frau gehört. In der Straße wohnte ein mittlerweile verstorbenes Mitglied der Trierer Death-Metal-Szene, auch seine Wohnung wurde überprüft. Die Razzia blieb aber ohne Ergebnis, auch die Umgebung soll abgesucht worden sein. Der Trierer Staatsanwalt Eric Samel sagte auf der Pressekonferenz, dass die damaligen Bewohner nun noch einmal Teil der Ermittlungen sein werden.

Was sagen die Ermittler?

Oberstaatsanwalt Peter Fritzen weist weiter alle Vorwürfe zurück. Zu Spekulationen wollte er sich auf der Pressekonferenz nicht äußern. Wochen zuvor antwortete er auf eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung - mit einem neunseitigen Statement. Inhalt: Die Spitzbart-Spur, so Fritzen, sei nur eine von mehr als 800 Spuren gewesen und habe halt auch nicht weitergeführt. Ende der Ermittlungen. Für weitere Nachforschungen in der Trierer Death-Metal-Szene sah die Staatsanwaltschaft bisher keinen Anlass. Die Verbindungen von Tanja in die Szene seien nicht eindeutig genug.

Tatsächlich kann man den Behörden kaum zu wenig Engagement vorwerfen. Vielen Polizisten gehe der Fall auch persönlich nahe, schreibt Fritzen. Bernd Michels etwa, der ehemalige Leiter der Trierer Mordkommission, erlitt am ersten Jahrestag von Tanjas Verschwinden einen Herzinfarkt - nach einer Trauerfeier für sie.

Wie geht es weiter?

Nun wird einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands noch einmal von vorne aufgerollt. Die Polizei kündigte an, alle 800 Spuren noch mal anhand der neuen Erkenntnisse zu überprüfen. Die Rechtsmedizin wird ihr Gutachten abgeben, außerdem wurde Tanja Gräffs Handy gefunden. Gerade das Handy könnte wichtige Hinweise liefern. Die Polizei geht weiterhin von einem Tötungsdelikt aus.

Und Waltraud Gräff? Im Gegensatz zu den Ermittlern glauben sie und ihr Anwalt auch weiter, dass Spitzbart den Weg zur ganz heißen Spur weisen könnte. Dass Tanja definitiv tot ist, überrascht sie nicht. "Eine Mutter spürt das", sagte sie bereits Ende Februar in ihrem Wohnzimmer. "Ich will nur einen Ort zum Trauern haben. Ich würde sie gerne in Würde beerdigen können."

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