Verbrechen:Verbrechen geschehen mitten im vertrauten Umfeld

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Nach Gräueltaten wie jetzt in Höxter heißt es oft: Sucht woanders, aus unserer Stadt kann der Täter nicht kommen. Doch wenn das Böse auftritt, lebt es oft sehr nah.

Kommentar von Joachim Käppner

Ein Kind wird entführt. Ein Unbekannter missbraucht und ermordet eine Joggerin. Eine Frau lernt über Annoncen den Falschen kennen und stirbt, wie jetzt in Höxter, nach langem Martyrium. Wenn solche Verbrechen geschehen, so hat Harald Dern als Leiter der Profiler beim Bundeskriminalamt (BKA) einmal gesagt, würden die Einwohner in der betreffenden Stadt am liebsten ein Schild für die Polizei aufstellen: "No monsters here." Sucht woanders, hier bei uns gibt es bestimmt niemanden, der "zu so etwas imstande ist". Operative Fallanalytiker - wie die Profiler offiziell heißen - haben schon mehrfach erlebt, wie selbst erfahrene Kriminalisten den Täter erst einmal anderswo suchten als in ihrer vertrauten Stadt.

Tausende Krimis und Thriller und nicht zuletzt die Selbstüberhöhung der frühen FBI-Profiler der Siebzigerjahre haben einen Mythos geschaffen, an den viele Menschen glauben und der manchmal noch heute in die Polizeiarbeit hineinwirkt: den des planvoll-intelligenten Serienmörders, des reisenden fremden Täters, der das Böse in die friedliche Gemeinschaft bringt. Aber solche Täter sind selten, und "einen Hannibal Lecter hatten wir noch nie", sagt Dern bei Schulungen gern, in Anspielung auf den genialischen Serienkiller Hannibal aus dem verfilmten Roman "Das Schweigen der Lämmer"; die meisten Sexualmörder sind eher randständige Gestalten.

Kein Gesetz kann Gräueltaten wie in Höxter verhindern

So war es wohl auch im "Horrorhaus von Höxter", wie die Boulevardmedien den Tatort getauft haben, an dem das verdächtige Paar mindestens zwei Frauen getötet und mehrere andere grausam misshandelt haben soll. Solche Verbrechen geschehen mitten im vertrauten Lebensumfeld, verunsichern die Öffentlichkeit entsprechend stark, und die Frage ist nicht weit, ob sie nicht zu verhindern gewesen wären. Schnell erschallt, zumal aus der Politik, der Ruf nach schärferen Gesetzen.

Doch gerade dem Gesetzgeber hilft dann nur Augenmaß. Verschärfungen des Strafrechts hat es immer wieder gegeben, nicht wenige waren nötig: Der Staat ist verpflichtet, potenzielle Opfer zu beschützen. Es war nötig, die effektive Gendatenbank zur Speicherung von Straftätern beim BKA zu schaffen und auszubauen. Es war nötig, bei allen Übertreibungen, die es leider gab, ein Mindestmaß an Sicherungsverwahrung für gefährliche Straftäter zu ermöglichen. Aber kein Gesetz kann verhindern, dass es immer wieder zu Gräueltaten wie in Höxter kommen kann. Kein noch so strenges Recht, kein noch so dichtes Netz an Überwachung, kein noch so repressiver Staat kann das. Selbst unter der Terrorjustiz der Nazis gab es solche Verbrechen.

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Von Bernd Dörries, Bielefeld

Zum rechtspopulistischen Vorrat an Vorurteilen gehört, der Staat sei zu milde gegenüber Verbrechern. Das ist Unsinn. Die Schwerkriminalität sinkt eher, und dieser Staat ist juristisch alles andere als zahnlos; es hat sich sogar als erforderlich erwiesen, dass die höchsten Gerichte in Karlsruhe und Straßburg ihm den einen oder anderen Zahn ziehen mussten.

Auch wenn das Internet im Fall Höxter offenbar nicht ausschlaggebend war: Wer im Netz auf Kontaktbörsen unterwegs ist und mehr von sich preisgibt, als der Staat es durch Abhören und Vorratsdatenspeicherung je in Erfahrung bringen könnte, lebt riskant. Auch in der digitalen Welt aber muss die Polizei in der Lage bleiben, Straftaten zu verfolgen und zu verhindern.

Bei manchen Verbrechen ähnlich dem in Höxter hätten aber auch mehr Aufmerksamkeit und Bürgersinn Nachbarn und sogar Behörden misstrauisch machen können. Der Annahme, niemand im vertrauten Lebensumfeld könne ein Vergewaltiger und Mörder sein, folgt nach der Festnahme des Täters sehr oft, wie die Profiler erleben, die Bemerkung: Der sei ja schon immer etwas merkwürdig gewesen. Aber dann ist es zu spät.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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