Unwetter:Regierung plant Finanzhilfen nach schwerer Ostsee-Sturmflut

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Blick auf eine überflutete Straße in Lübeck. (Foto: Volker Gerstmann/dpa)

Hunderte beschädigte Jachten, Sicherungsarbeiten an Deichen: Die Ostsee-Sturmflut hat teils ein Bild der Zerstörung hinterlassen. Schleswig-Holstein will Betroffenen finanziell helfen und erwartet selbst Unterstützung vom Bund.

Von André Klohn, Eva-Maria Mester und Wolfgang Schmidt, dpa

Kiel/Flensburg (dpa) - Der Olympiahafen in Kiel-Schilksee liefert drei Tage nach der schweren Ostseesturmflut noch immer ein Bild der Verwüstung. Von einer Segeljacht ragt nur noch der Bug aus dem Wasser, von anderen lediglich der Mast. Am Montag geht es mit ersten Bergungsarbeiten voran.

Die Landesregierung verständigte sich in einer Sondersitzung auf finanzielle Hilfen. Höhe und Ausgestaltung will Schwarz-Grün noch konkretisieren. „Ich möchte nicht über Summen spekulieren“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Es müsse zuvor Klarheit über die Schadenshöhe herrschen.

„Wir wollen keine Zeit verlieren und werden schnell und unbürokratisch Hilfen und Maßnahmen auf den Weg bringen“, sagte Günther. Er wolle in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern bei der Bewältigung der Folgen dieser Naturkatastrophe hinweisen sowie auf die notwendige Hilfe für die Stärkung des Küstenschutzes.

Die Landesregierung will denjenigen Betroffenen mit Darlehen helfen, die bis zur Auszahlung von Versicherungen eine Überbrückungshilfe brauchen. Eine Härtefallregelung soll greifen für Menschen, denen ein Versicherungsschutz aufgrund einer hochwassergefährdeten Gebäudelage verwehrt wurde.

Am 1. November will die Koalition mit den Kommunen über einen gemeinsamen Wiederaufbaufonds beraten. Das Land erwartet, dass sich auch der Bund daran beteiligt. Am 3. November will Günther in einer Sondersitzung des Landtags eine Regierungserklärung zum Umgang mit den Folgen des Sturms abgeben.

Ein armes Land wie Schleswig-Holstein erwarte sich in einer solch schwierigen Lage Hilfe, sagte Finanzministerin Monika Heinold (Grüne). „Die Kassen des Landes waren schon vor dem Sturm leer.“ Die Schuldenbremse erlaube bei Naturkatastrophen Ausnahmen. Mit einem Katastrophenerlass will das Land steuerliche Erleichterungen für vom Sturm betroffene Privatpersonen und Unternehmen auf den Weg bringen. Dafür ist aber die Zustimmung des Bundesfinanzministeriums nötig.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) kündigte eine ausführliche Überprüfung der Katastrophenmaßnahmen an. „Die Schäden sind erheblich und zum Teil erschreckend.“ Die Alarmierung habe aber funktioniert. „Die Leute wussten, was auf sie zukommt.“

Die Schäden in den Häfen

Allein die Hamburger Pantaenius Yachtversicherung rechnet mit 400 Schadensfällen wegen beschädigter oder gesunkener Jachten. „An den Hotspots sind sicherlich 30 Prozent davon Totalverluste“, sagte Vertriebsleiter Dirk Hilcken der Deutschen Presse-Agentur. Er schätzt, dass an der gesamten deutschen Ostseeküste rund 2000 Jachten Opfer der Sturmflut geworden sind. „Die Lage ist für uns fast apokalyptisch.“ Die Versicherung hat nach Angaben von Hilcken bei Segeljachten im Norden einen Marktanteil von 30 bis 50 Prozent.

Zur Schadenshöhe konnte Hilcken noch keine Angaben machen. Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung hatte noch keine Schätzung über die Höhe der an der Ostseeküste entstandenen Schäden. Der Leiter des Stabes Katastrophenschutz im Innenministerium hatte aber früh von einer dreistelligen Millionenhöhe gesprochen.

Allein die Stadt Kiel geht von Schäden in zweistelliger Millionenhöhe aus. Von Dienstag an sollen gesunkene Jachten in Schilksee mit Hilfe eines Schwimmkrans geborgen werden. Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) hatte am Sonntag von einem Desaster und mehr als 35 gesunkenen Booten gesprochen.

Uferabbrüche auf Fehmarn

In vielen Kommunen im Kreis Ostholstein sei die Schadenshöhe noch gar nicht zu beziffern, sagte der Tourismuschef von Fehmarn, Oliver Behncke. „Wir schätzen die Höhe des Schadens allein an der öffentlichen Infrastruktur auf einen zweistelligen Millionenbetrag.“ Rund um die Insel habe es massive Uferabbrüche gegeben. „Mindestens drei größere Campingplätze waren massiv überflutet und sind es zum Teil immer noch.“

Auch im Ostseebad Heiligenhafen hat die Sturmflut schwere Schäden angerichtet. Der stellvertretende Bürgermeister Stephan Karschnick sorgt sich um die Standfestigkeit der Deiche. „Sie haben zwar gehalten, aber die Deichfüße liegen jetzt frei. Wenn es in den nächsten Tagen erneut Sturm gibt, könnten die Deiche nachgeben und brechen.“ Auch die Bürgermeisterin von Scharbeutz, Bettina Schäfer, sprach von schweren Schäden durch die Sturmflut: „Die Schäden liegen sicherlich im Millionenbereich.“

Unterdessen ist im Flensburger Hafengebiet die Stromversorgung wiederhergestellt. „Es kann aber sein, dass einzelne Haushalte noch keinen Strom haben“, sagte ein Sprecher der Stadtwerke. Die Stadt hatte in der Nacht zum Samstag ein Jahrhundert-Hochwasser erlebt. Nach Angaben des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie erreichte der Pegel einen Höchststand von 2,27 Meter über dem Normalwert. Teile des Hafengebiets waren überflutet. Ein ähnlich hoher Wert war in Flensburg zuletzt 1904 mit 2,23 Meter gemessen worden.

Es habe während der Sturmflut 290 Einsätze gegeben, sagte ein Stadtsprecher. Davon sei es in 70 Fällen um reine Sturmschäden gegangen. Zahlreiche Menschen in Orten am Wasser hatten wegen Überschwemmungen in der Nacht zum Samstag ihre Häuser verlassen müssen. Die Feuerwehr sprach von rund 2000 Betroffenen in Schleswig-Holstein. Eine Frau auf Fehmarn starb am Freitag im Sturm, ein Baum hatte ihr Auto getroffen.

Im Kreis Schleswig-Flensburg waren rund 1000 Helfer im Einsatz. Insgesamt wurden etwa 80.000 Sandsäcke gefüllt, um die schweren Überschwemmungen zu bekämpfen. Seit Montag helfen Bundeswehr und Technisches Hilfswerk (THW), um insbesondere die Deiche in Arnis und Maasholm zu sichern. Die Wasserbehörde setzt Drohnen ein, um die Deiche auf weitere Schäden zu überprüfen.

Forderungen der Opposition

SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller begrüßte den Wiederaufbaufonds. „Der muss jetzt rasch konkretisiert und der Größe der Aufgabe entsprechend ausgestattet werden.“ Der Hochwasserschutz an der Ostsee und der Katastrophenschutz im Land müssten gestärkt werden. „Das kann das Land über ein Sondervermögen finanzieren.“

FDP-Fraktionschef Christopher Vogt forderte schnellstmögliche Verbesserungen des Küstenschutzes. „Dies wurde damals auch nach der Jahrhundertflut 2013 in der Stadt Lauenburg zugesagt und hier hat das Umweltministerium nach über zehn Jahren noch nicht viel Sichtbares vorangebracht, was natürlich für Frust bei den Betroffenen sorgt.“

Nach Ansicht des SSW hat die Sturmflut Defizite beim Küsten- und Katastrophenschutz sowie in der Krisenkommunikation offengelegt. SSW-Landeschef Christian Dirschauer und der Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler forderten eine ehrliche Bilanz, schnelle Hilfen und strukturelle Reformen.

Kritik an der Bundesregierung kam von der CDU-Bundestagsabgeordneten Petra Nicolaisen. Sie forderte die Ampel-Koalition auf, die Mittel für den Küstenschutz im Haushalt 2024 „auf dem Niveau von 2023 zu belassen - sie also nicht wie geplant zu kürzen“.

© dpa-infocom, dpa:231023-99-674264/3

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