Corona-Maßnahmen:Erdoğan legt die Türken trocken

Lesezeit: 2 min

In den kommenden drei Wochen darf in der Türkei kein Alkohol verkauft werden. (Foto: OZAN KOSE/AFP)

Am Donnerstag beginnt in der Türkei ein Drei-Wochen-Lockdown. Während dieser Zeit ist der Verkauf von Alkohol im ganzen Land verboten.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

"Lasst die Finger von meinem Alkohol" - das war die zornige Twitter-Reaktion auf ein Alkohol-Verkaufsverbot, das die türkische Regierung am Dienstag in Ankara völlig unerwartet verhängt hat. Der entsprechende Hashtag startete durch, nachdem Innenminister Süleyman Soylu am Nachmittag Gerüchte über ein Alkohol-Verkaufsverbot bestätigt hatte: Während des am Donnerstag beginnenden Drei-Wochen-Lockdowns dürfen in der gesamten Türkei keine alkoholischen Getränke mehr verkauft werden.

Prohibition alla turca also: Offenbar sind Bier, Schnaps und Wein in den Augen des Staatspräsidenten und strikten Alkohol- und Tabakgegners Recep Tayyip Erdoğan nicht wirklich systemrelevant. Der streng gläubige Muslim hatte schon früher gern kundgetan, dass seine Lieblingsgetränke das vergorene Joghurt-Getränk Ayran und Tee sind.

EU und Türkei
:Angebote an Erdoğan

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel stellen der Türkei bei ihrem Besuch in Ankara eine stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschaft und bei der Migration in Aussicht. Sie soll aber "umkehrbar" sein.

Von Matthias Kolb

Gegen die Nikotinsucht geht der Staatschef vor, indem er nichts Böses ahnenden Bürgern bei öffentlichen Begegnungen schon einmal das Zigarettenpäckchen wegnimmt. Beim Alkohol hingegen sorgt er durch hohe Steuern und eine restriktive Vergabe von Alkohollizenzen an Restaurants und Geschäfte dafür, dass der Genuss einen bitteren Beigeschmack hat, die Staatskasse aber trotz der tugendhaften Grundhaltung gefüllt bleibt.

Denn getrunken wird in der Türkei gern und viel. Und das, obwohl sie ein muslimisches Land ist. Ein nicht unerheblicher Teil der Menschen ist nach wie vor eher säkular eingestellt, der Anis-Schnaps Rakı gehört zur Nationalkultur, Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk war dem hochprozentigen Getränk ein Leben lang mehr als nur freudvoll zugetan.

Vor der offiziellen Bekanntgabe des Verkaufsverbotes für die Dauer des 17-tägigen Lockdowns, der mit der zweiten Hälfte des islamischen Fastenmonat Ramadan zusammenfällt, hatten viele Türken gehofft, dass wenigstens die auf den Alkoholverkauf spezialisierten "Tekel"-Kioske von der Sperre ausgenommen würden. Innenminister Soylu nüchterte seine Landsleute dann aber unbarmherzig aus: "Diese Läden stehen nicht auf der Ausnahmeliste, sie bleiben geschlossen. Da steht kein Fragezeichen dahinter."

Neben humorig-zynischen Tweets über die Tugendwächter in Ankara gab es grundlegende Kritik. Veli Ağbaba, Vizechef der säkularen Oppositionspartei CHP, schrieb unter Anspielung auf die islamistische Ausrichtung Erdoğans und seiner Regierungspartei AKP: "Dieses Verbot hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Das ist rein ideologisch. Es ist das letzte Glied der Kette, wie die AKP sich in den Lebensstil der Bürger einmischt."

Wie einst der Sultan Murad IV.?

Ein Vertreter der Vereinigung der Alkoholverkaufsstellen erinnerte daran, dass die Türken ihren Rakı vor allem zu reichhaltigen und geselligen Abendessen konsumieren: "Das ist ein Coup gegen das Privatleben, gegen unsere Ess- und Genusskultur. Corona dient nur als Vorwand."

Der bekannte Regisseur Murat Şeker meinte eher trocken, in den nächsten zwei Tagen werde der Schnaps- und Weinverkauf wohl alle Rekord brechen: "Die Menschen werden den Alkohol auf Vorrat lagern und dann weiter trinken."

Sehr viel unterhaltsamer twitterte Murat Emir, ein CHP-Abgeordneter aus Ankara: "Was steht denn noch auf der Tagesordnung? Geheime Kontrollen der Bevölkerung, um zu sehen, wer heimlich trinkt?" Er spielte auf Sultan Murad IV. an, der als "der Verbieter" bekannt wurde. Der gläubige Osmanen-Sultan hatte Alkohol, Tabak und Kaffee verboten, aber angeblich selbst recht gern Alkohol getrunken. Murad IV., der einige seiner Bürger wegen ihres heimlichen Genusses hinrichten ließ, regierte im 17. Jahrhundert. Weshalb Emir über Erdoğans Alkoholverbot lästerte: "Ist das jetzt nicht etwas zu spät, so rund 400 Jahre?"

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Beziehungen zur Türkei
:"Die EU darf die Menschenrechte nicht opfern"

Wenn er enge Beziehungen zur EU will, muss Erdoğan innenpolitische Reformen durchsetzen, fordert der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky. "Sofagate" habe Europas Glaubwürdigkeitsproblem offenbart.

Interview von Matthias Kolb

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: