Türkei:Frau Üresin und die Polygamie

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Eine Familienberaterin gegen die ganze Türkei: Sibel Üresin redet der Vielehe das Wort - und sorgt mit ihren Thesen über das Verhältnis zwischen Frau und Mann für Aufregung. Seltsam ist auch ihr Rezept für eine gelungene Ehe.

Ein Satz, der die Türken aufregt: "Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mir viele Frauen nehmen." Die Frau, die den Satz gesagt hat, sieht so aus, als würde sie Aufmerksamkeit genießen. Sie trägt lackierte Lederstiefel und roten Blazer zum modischen Kopftuch - die Website der Sibel Üresin zeigt eine schicke Frau. Eine Frau, die Artikel schreibt, Seminare gibt, Lebenshilfe anbietet ("Fragen Sie Sibel"). Eine 35-Jährige, die mehrere Istanbuler Gemeinden in Sachen Ehe und Familie berät.

Seit dieser Woche auch bekannt als: Die Familienberaterin, die die Legalisierung der Vielehe fordert. Und die damit einen Sturm der Entrüstung erntet.

Polygamie überlebt noch immer

Sibel Üresin ist nicht nur fromme Muslimin, sie ist auch Verhaltenswissenschaftlerin. Sie hat herausgefunden: Männer können gar nicht anders. "Ein Mann will eine Frau für Freundschaft, Sex, Mütterlichkeit und den Haushalt", schreibt Üresin. "Das schaffen eigentlich nur vier verschiedene Frauen." Wenn Männer herumstreunen, dann sei das also "eine berechtigte Suche." Vielweiberei, sagt Üresin, sei ohnehin eine Tatsache. Ihre Legalisierung bringe den Zweitfrauen und ihren unehelichen Kindern rechtlichen Schutz. Und der Koran heiße die Vielehe auch gut.

Die Äußerungen Üresins lösten eine erregte Debatte aus, sie kommen kurz nach der Veröffentlichung eines Videos, das einen Oppositionspolitiker beim Liebesspiel zeigt. Der Politiker rechtfertigte sich hernach, die Geliebte sei ihm in einer "Imam-Ehe" angetraut.

Das Geheimnis einer glücklichen Ehe

Offiziell abgeschafft wurde die Polygamie in der Türkei 1926, damals führte Atatürk die standesamtliche Zivilehe ein. Vor allem auf dem Land war aber noch Jahrzehnte lang die sogenannte Imam-Ehe der Standard - eine von einem muslimischen Würdenträger abgesegnete Trauung. Die Zahl dieser offiziell nicht anerkannten Ehen ging ständig zurück, doch zählte eine dem Parlament im Januar vorgelegte Studie noch mehr als 450.000 Imam-Ehen in der Türkei - vor allem im rückständigen Südosten wird dieser Ritus weiterhin dazu benutzt, minderjährige Mädchen zu verheiraten oder sich eine Zweitfrau zuzulegen.

Üresin, die das Geheimnis einer glücklichen Ehe darin sieht, dass "die Frau sich dem Manne unterwirft", machte sich nicht viele Freunde mit ihrer Provokation. "Von deiner Sorte muss man wohl vier heiraten, um eine anständige Frau zusammenzukriegen", entgegnete ihr die Schauspielerin Biricik Suden, eine andere fragte "Warum dürfen eigentlich nicht wir vier Männer heiraten?"

Auch unter Glaubensgenossinnen erntete sie scharfen Widerspruch. "Jämmerlich", nannte die islamische Kolumnistin Nihal Bengisu Karaca, selbst Kopftuchträgerin, den Vorstoß, der die Arbeit des Patriarchats erledige. Und die junge islamische Autorin Esra Elönü nannte Üresins Koran-Auslegung "eine Katastrophe" und forderte ein sofortiges Ende der Praxis der Imam-Ehe: Das seien nichts als "Beduinenpraktiken", die den frommen Konservativen als Deckmantel für ihre Geilheit dienten.

Frau Üresin hat übrigens soeben ein Buch veröffentlicht. Es heißt: "Wecke die Frau in dir!" Und nein, ihr eigener Mann habe sich bislang noch keine Zweitfrau genommen. "Ich weiß auch nicht, warum."

© SZ vom 27.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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