Tsunami in Japan:Im Wohncontainer gestrandet

Tsunami in Japan: Am 11.März 2011 bebte die Erde, und das Unglück brach über die Sanriku-Küste herein. Die Spuren sind allgegenwärtig, hier in der Präfektur Fukushima.

Am 11.März 2011 bebte die Erde, und das Unglück brach über die Sanriku-Küste herein. Die Spuren sind allgegenwärtig, hier in der Präfektur Fukushima.

(Foto: Yoshikazu Tsuno/AFP)

Der verheerende Tsunami in Japan hat die Menschen an der Küste ihres Lebensraums beraubt. Viele wohnen seit drei Jahren in viel zu kleinen Containern. Neu gebaut werden darf erst, wenn wieder Schutzwälle vor den Häfen stehen - und das kann dauern.

Von Christoph Neidhart, Kamaishi

Sie trägt gespendete Kleider, andere hat sie nicht mehr. Der Tsunami hat Tsuyako Ito alles geraubt. Seither wohnt die letzte Geisha von Kamaishi, 88 Jahre alt, in der Container-Siedlung Tenjin-Cho Danshi. Die kleine Frau sitzt in ihrem winzigen Wohnzimmer am Kotatsu, einem tiefen Tisch mit Heizdecke. An der Wand stehen einige Fotos, die man aus den Trümmern gerettet hat. Obwohl Tsuyako Ito fast nichts mehr besitzt, ist der Raum überfüllt. "Ich bin ja klein und allein, ich komme zurecht", sagt sie. Schwieriger sei das Leben im Container für Familien.

Geisha Ito weiß, wie wichtig der soziale Zusammenhalt in den vielen Container-Siedlungen im Tsunami-Gebiet ist. Die allein lebenden alten Leute können nicht einmal mehr einkaufen gehen, Läden gibt es keine mehr. Zum Supermarkt müssen sie sich fahren lassen. Ältere Tsunami-Flüchtlinge vereinsamen, immer wieder wird ein Selbstmord gemeldet. In ihrer Container-Siedlung unterhält Geisha Ito die Tsunami-Flüchtlinge deshalb mit Auftritten. Und sie unterrichtet traditionellen Tanz. "Drei Jahre hatte ich schwarze Gefühle, jetzt hellen sie sich auf", sagt sie.

Der sieben Meter hohe Schutzwall wurde vom Tsunami zerstört

Genau drei Jahre sind nun vergangen seit der Katastrophe. Noch zwei, drei Jahre werde es dauern, glaubt die 88-Jährige, dann könne sie in ihr Wohnhaus am Hafen zurück. Doch das ist wohl nur ein frommer Wunsch. Denn solange nicht klar ist, wie sich die Stadt gegen künftige Tsunamis schützt, dürfen Bauten nicht einmal geplant werden. Und das dauert.

Sechs Monate vor der Katastrophe hatte Kamaishi den größten Tsunami-Schutzwall der Welt eingeweiht. Er war sieben Meter hoch und 1960 Meter lang. Die Bauarbeiten hatten 31 Jahre gedauert und 1,5 Milliarden Dollar gekostet. Guinness überreichte den Stadtvätern ein Weltrekord-Diplom. Als die Erde am 11. März 2011 bebte und die Sirenen dröhnten, wähnten sich viele Menschen deshalb sicher. Aber die Flut schwappte über die Mauer, unterspülte sie und schob ihre Abschnitte weg wie Spielzeugklötze.

Etwas nördlich von Kamaishi liegt das Fischerdorf Kirikiri. Kurz nach dem Tsunami begann der damals pensionierte Automechaniker Matsuhika Haga als Freiwilliger, das Aufräumen zu organisieren. "Wir sind noch lange nicht fertig, zur Zeit arbeiten wir im Wald", sagt er. Am Strand liegen die Trümmer des Tsunami-Walls von Kirikiri. Der Hafen bietet das gleiche Bild wie vor einem Jahr; ein Kranboot fischt Autoreifen, Kühlschränke und anderen Hausrat aus dem Wasser. Hagas Haus war nur teilweise zerstört, mit seinen Ersparnissen und einem Zuschuss vom Staat konnte er es reparieren. Das durfte er. Neu bauen durfte er nicht.

Geiseln der Bauunternehmer

Schlimmer erging es seinem Helfer Takayuki Kimura. Von seinem Haus ist nichts geblieben - außer Bauschulden: 15 Jahre lang muss er noch abzahlen. Als 53-Jähriger ohne Stelle habe er keine Chance auf eine neue Hypothek. So wohnt er mit seiner alten Mutter im Container. "Wenigstens hat sie ihre Freundinnen, sie treffen sich jeden Tag zum Tee", sagt er. Auch Takayuki Kimura muss sich mit seiner Mutter auf Dauer im Container einrichten, nicht nur wegen seiner Schulden. Die Gemeinde hat noch nicht einmal einen Zonenplan.

Wie fast überall entlang der Küste streitet man auch hier über eine neue Tsunami-Mauer, die im Prinzip beschlossen ist. Die bisherige war fünf Meter hoch, doch sie erwies sich als nutzlos. Tokio plant nun für Kirikiri eine Mauer von 12,8 Metern Höhe. An ihrer Basis soll sie fünfzig Meter breit werden. "In den ersten Monaten nach dem Tsunami waren fast alle dafür", erzählt Matsuhika Haga. "Aber inzwischen sind die meisten dagegen." Dort, wo Schutzmauern geplant sind, darf nicht gebaut werden, bis diese stehen. Damit werden die Tsunami-Flüchtlinge zu Geiseln der Bauunternehmer. Für Kirikiri ist eine Bauzeit von drei Jahren geplant, aber alle hier wissen, dass es länger dauern wird.

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