Sumo-Ringer sind edle Hünen im Lendenschurz, die den Ehrenkodex der Samurai, der Schwert tragenden Ritter Japans, weiterleben. Der Gewinner eines Sumo-Kampfes darf nicht jubeln, weil dies den Verlierer beleidigen würde. Der Verlierer muss seine Niederlage demütig akzeptieren. Gegen eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters darf man nicht protestieren. Und je höher der Rang eines Kämpfers, umso strenger der Kodex; der höchste Rang ist der des "Yokozuna".
So weit die Theorie.
Ende Oktober verprügelte der Yokozuna Harumafuji, bis Mittwoch die Nummer zwei des professionellen Sumo, beim Saufen in einer Bar in der entlegenen Präfektur Tottori den rangniedrigen Ringer Takanoiwa so übel, dass dieser ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Der Sumo-Zirkus reist regelmäßig für Schaukämpfe in die Provinz, die großen Turniere finden in den Metropolen statt. Der Sumo-Verband meldete zuerst ohne Angabe von Gründen, Takanoiwa hätte einen Schädelbruch erlitten und sich am Rückgrat verletzt. Dann wurde die Diagnose widerrufen, Takanoiwa soll sogar trainiert haben. Was wirklich passiert ist, darüber rätseln Japans Medien seitdem täglich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Nach dem Herbstturnier in Fukuoka musste sich Hakuho, der Seriensieger der letzten Jahre, im Namen des ganzen Sports bei den Sumo-Fans für den jüngsten Skandal entschuldigen. Der Sumo-Sport fürchtet um seine Zukunft: Ältere Japaner verfolgen die Turniere zwar, aber die meisten Jungen interessiert Sumo eher nicht. Am Mittwoch hat nun der Sumo-Verband dem Druck nachgegeben und Harumafuji rausgeworfen. Anders als ein ehrenvoll zurückgetretener Yokozuna erhält der 33-Jährige keinen neuen Namen für sein Leben nach der Aktivzeit. Die Sumo-Welt eliminiert ihn gewissermaßen.
Strenge Hackordnung und brutaler Konkurrenzkampf
Vor den eigentlichen Ursachen der Sumo-Skandale - vor einigen Jahren hat ein Stallmeister einen jungen Ringer totgeschlagen, dabei wollte er ihn eigentlich nur abhärten - verschließt der Verband allerdings weiterhin die Augen. Auch vor den Gerüchten, im Sumo würde gedopt.
Sumo-Profis sind gutmütige, genügsame und bescheidene Gesellen, so ist das Klischee. Sie leben in sogenannten Sumo-Ställen, wo sie um vier Uhr früh aufstehen, um zu trainieren. Die Nachwuchsringer, die sogenannten "Rikishi", besorgen den Haushalt. Sie bedienen die Älteren beim Essen, waschen ihre Klamotten und putzen die Klos. Offiziell heißt es, Sumo-Ringer lebten wie in Familien. Aber in den Ställen gibt es keinerlei Privatsphäre, wer eintritt, muss seinen Besitz abgeben, es herrscht eine strenge Hackordnung und ein brutaler Konkurrenzkampf. Männer, die täglich stundenlang gegeneinander kämpfen und sich dabei wehtun, sind rund um die Uhr zusammen eingesperrt.
Es ist durchaus üblich und wird geduldet, dass Ältere ihren Frust an den Rikishi auslassen und sie quälen. Auch das gilt als "Abhärten". Dabei schafft es nur etwa jeder dreißigste Rikishi, je in die Ränge aufzusteigen, in denen man Geld verdient. Die anderen scheiden geschunden aus.
Mongolen beherrschen den ur-japanischen Sport
Eine Erklärung für die jüngsten Fälle, die man immer wieder hört, lautet: Harumafuji ist Mongole, Takanoiwa ebenfalls - die heißblütigen Ausländer hätten doch wenig Sinn für den japanischen Geist. Nur: Auch der populäre Hakuho, der Dominator der letzten Jahre, stammt aus der Mongolei. Und auch sein Vorgänger Asashoryu, der vor sieben Jahren ebenfalls nach einer besoffenen Nachtclub-Prügelei nach Ulan-Bator zurückgejagt wurde. Die angeblich ur-japanische Sportart wird seit bald zwei Jahrzehnten von Mongolen beherrscht, zuvor von Ringern aus Hawaii.
Die jungen Japaner, die sich das noch antun wollen, werden immer weniger. Bei Sumo-Turnieren kämpfen neben den vielen Mongolen auch Männer aus Korea, Samoa und Osteuropa. In diesem Jahr stieg lediglich der Japaner Kisenosato in den höchsten Rang auf - er war der erste Japaner seit 17 Jahren.