Tote Pottwale auf Wangerooge:Trauriges Spektakel

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Die zwei toten Tiere, die seit Tagen auf Wangerooge liegen, sind für die Insel ein großes Ereignis. Und ein Glücksfall.

Von Thomas Hahn, Wangerooge

Ein kalter Wind pfeift um die gestrandeten Pottwale auf der Sandbank von Wangerooge. Am Himmel türmt sich ein Chaos aus Wolken, die Nordsee schäumt und brodelt, als habe sie schlechte Laune. Aber die Miene von Aart Walen ist unbewegt. Ihn scheint nicht einmal der Verwesungsgestank zu erreichen, der von den beiden toten Tieren ausgeht.

Niedersachsens Umweltministerium und die Verwaltung des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer haben den Tierpräparator mit dem recht bezeichnenden Namen aus den Niederlanden einfliegen lassen, Aart Walen aus Arnheim ist Experte im Umgang mit toten Walen.

Der Tierpräparator schneidet Löcher in die Kadaver

Einer der beiden "Jungs", wie der Bürgermeister die toten Pottwale nennt, am Strand von Wangerooge. (Foto: Peter Kuchenbuch-Hanken/dpa)

Er soll die Verwesungsgase aus den riesigen Kadavern ableiten, um die Explosionsgefahr zu bannen. Und das tut Walen jetzt mit bedächtigen Messerstichen. Er schneidet Löcher in die Körper. Es zischt, als die Gase entweichen. Und noch bevor die Flut kommt, meldet Aart Walen, dass die Pottwale fertig seien zum Abtransport: "Die sollten Bagger holen und das Wegschleppen vorbereiten."

Wangerooge am Mittwoch. Es ist eigentlich nicht viel los auf der östlichsten bewohnten Ostfriesland-Insel. Manchmal hat man den Eindruck, sie sei ausgestorben. Die meisten Cafés und Gaststätten haben geschlossen, es sind wenige Menschen auf der Straße, ab und zu surrt ein Elektrofahrzeug durch die autofreie Gemeinde.

Die Insel macht Pause nach einer langen Tourismus-Saison, die erst vor wenigen Tagen im Stress endete; nach Neujahr herrschten Sturm, Niedrigwasser, Eisregen, weder Fähre noch Flieger gingen, Hunderte Silvester-Gäste saßen fest, die Gastronomie musste improvisieren. "Es wurde sehr viel geleistet auf der Insel", sagt Bürgermeister Dirk Lindner, "die Leute sind verdient im Urlaub." Dass das Meer den Wangeroogern nun die Pottwale überlassen hat, ist für ihn ein Glücksfall nach den vielen Mühen. Lindner nennt sie "die beiden Jungs", er sagt: "Nach diesen negativen Schlagzeilen war ich den beiden Jungs nicht sehr böse, dass sie gekommen sind."

Auch vor Helgoland sind zwei tote Pottwale aufgetaucht, sie treiben vor der Insel im Wasser. (Foto: dpa)

Der NDR berichtete live von der Sandbank

Es wirkt, als habe Wangerooge Besuch aus einer fremden Galaxie bekommen. Zwei Wesen liegen seit Freitag am Strand, die hier nicht hergehören, die Aufmerksamkeit ist groß. "Mein Telefon steht nicht still", sagt Lindner. Der NDR berichtete teilweise live von der Sandbank. Und am Wochenende fand eine kleine Völkerwanderung statt: Pottwal-Tourismus.

SZ-Karte (Foto: wangerooge)

Von Pottwalen geht eine eigene Faszination aus, weil sie groß sind, bis zu 20 Meter lang, bis zu 50 Tonnen schwer. Weil sie aus einer geheimnisvollen Tiefe kommen, die mehr als 2000 Meter unter der Meeresoberfläche liegen kann. Dank Herman Melvilles Roman "Moby Dick" sind sie Wesen der Populär-Mythologie, sie sind der Inbegriff des guten Ungeheuers, das sich immer wieder der Gier des Menschen ausgesetzt sieht. Trotz ihrer mächtigen Gestalt sind sie so arglos und verletzlich, dass man sie durch internationale Übereinkommen vor Jagd und Verdrängung schützen muss: In der Welt der Weltnaturschutzunion IUCN sind sie eine gefährdete Tierart. Insofern ist die Geschichte der Wale von Wangerooge eigentlich eine Tragödie.

Bürgermeister Lindner weiß das selbst. Spaziergänger und ein Mitglied des Naturschutzvereins Mellumrat meldeten den Fund unabhängig voneinander, Lindner fuhr gleich hin, mit der Feuerwehr und Silke Schmidt, der Leiterin des Wangerooger Nationalpark-Hauses. Sie wussten erst gar nicht, was sie denken sollten. "Einerseits ist es wahnsinnig beeindruckend, diese Tiere da zu sehen, die man sonst nur aus Filmen kennt", sagt Lindner, "auf der anderen Seite ist es zutiefst traurig, dass sie da tot liegen." Die Biologin Inga Blanke vom Nationalpark-Haus sagt: "Es war eine traurige Schönheit."

Aber es hilft ja nichts. Die Meeressäuger sind nun mal da, zwei Jungbullen, 11,80 Meter lang der eine, 12,70 Meter der andere. Experten gehen davon aus, dass sie sich verschwommen haben, als sie vom Norden kommend den Atlantik Richtung Äquator durchwandern wollten. Das kommt immer wieder vor, "immer im Januar, Februar", sagt Aart Walen. Die jungen Pottwale biegen bei Schottland falsch ab - "in ihrem jugendlichen Leichtsinn", wie es der Wal-Experte Jan Herrmann im NDR formuliert.

Die Tiere verirren sich in die relativ seichte Nordsee, verlieren die Orientierung, finden nicht genügend Nahrung und sterben. Die Pottwale von Wangerooge sind nicht die einzigen, die in diesen Tagen in der Nordsee aufgelaufen sind. Gleich fünf werden von der niederländischen Insel Texel gemeldet. Mittlerweile weiß man auch von Kadavern vor Helgoland, vor Büsum und in der Wesermündung.

Der Bürgermeister will die Knochen haben - fürs Museum

An manchen Orten kommen Walfunde gelegentlich vor, für Wangerooge ist der Fund ein Jahrhundertereignis. In den Fünfzigerjahren verirrte sich mal ein Orca-Wal hierher; 1994 bekam die nahe gelegene Insel Baltrum einen Pottwal ab, dessen Skelett heute im Wattenmeerhaus von Wilhelmshaven zu bewundern ist. Wangerooge erlebt nun seine Pottwal-Premiere, und das spiegelt sich in der Sorgfalt wider, mit der sich Politik und Naturschützer den Kadavern widmen.

Staatssekretärin Almut Kottwitz vom Umweltministerium und Frieslands Landrat Sven Ambrosy waren längst bei den Walen. Mellumrat-Vertreter haben sie ständig unter Beobachtung. Um Trophäenjägern zuvorzukommen, sägten die Walbetreuer den Kadavern die Elfenbein-Zähne heraus. Mitarbeiter des Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Laves) haben Untersuchungen vorgenommen. Und seit Tagen laufen die Überlegungen, wie man die mächtigen Leiber am schonendsten von der Sandbank bekommt. Die Arbeiten hängen auch von den Gezeiten ab, die Vorschriften sind streng. Hudeln geht nicht im Umgang mit Pottwal-Kadavern.

Immerhin, das Gas ist jetzt raus aus den Pottwalen. Doch das nächste Problem ist der Umstand, dass sich die Seitenflossen wie Anker in den Sand gegraben haben. Trotzdem ist der Plan, die Wale am Donnerstag oder Freitag in den Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven zu bringen, wo Fachleute sie sachgerecht zerlegen sollen.

"Aber ich will die Knochen wiederhaben!", ruft Lindner. Er möchte eines der beiden Skelette vor dem Nationalpark-Haus aufstellen lassen zur Anschauung für Schulklassen und Besucher. Die Pottwale sollen nicht umsonst gestorben sein.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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