Grenzüberschreitungen:Norwegen will die Rentier-Obergrenze

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Norwegen ist Zuwanderern gegenüber grundsätzlich skeptisch. Rentiere aus Schweden bilden da keine Ausnahme. (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Der norwegische Landwirtschaftsminister fordert einen Einwanderungsstopp für schwedische Rentiere. Bisher hat ihnen ein Abkommen Bewegungsfreiheit zugesichert.

Von Silke Bigalke, Stockholm

In Norwegen macht man sich mal wieder Sorgen um die Landesgrenze, ein Lieblingsthema der Fortschrittspartei. Die ist Zuwanderern gegenüber grundsätzlich skeptisch, ärgerte sich vergangenes Jahr über Flüchtlinge, die weit nördlich des Polarkreises auf Fahrrädern aus Russland nach Norwegen radelten. Nun sind es schwedische Rentiere, denen man das Gras auf norwegischer Seite nicht gönnt.

Doch die Tiere haben sich noch nie um Landesgrenzen geschert. Bisher hat ihnen eine Art Rentier-Abkommen zwischen den Nachbarländern Bewegungsfreiheit verschafft. Doch nun streitet der norwegische Landwirtschaftsminister Jon Georg Dale von der Fortschrittspartei mit seinem Kollegen in Stockholm um die Neuauflage dieses Abkommens. Und weil sie sich nicht einigen können, hat der Norweger nun damit gedroht, schwedische Rentiere nur noch begrenzt ins Land zu lassen, also quasi mit der Rentier-Obergrenze.

Der Konflikt um die Rentierherden ist so alt wie die Grenze selbst. Während sich Norweger und Schweden in Völker mit eigenen Nationalstaaten aufteilten, begreifen sich die Rentiere züchtenden Samen bis heute als ein indigenes Volk. Und ihre Herden folgen eben dem Rhythmus der Jahreszeiten: Im Frühjahr treiben die Züchter ihre Tiere nach Norden, bis an die norwegische Küste. Dort finden sie im Sommer mehr Gras und Mineralien. Im Winter geht es zurück.

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Als sich die Staaten im Jahr 1751 auf die heutige Grenze einigten, hängten sie dem Vertrag ein Abkommen für die Rentierzüchter an. Es erlaubt norwegische Rentiere in Schweden und schwedische in Norwegen. Grundsätzlich. Doch über dieses Abkommen diskutieren die Staaten ungefähr alle 30 Jahre, weiß Ellinor Marita Jåma, Chefin des Norwegischen Verbandes der Rentierzüchter.

Die letzte Vereinbarung stammt aus dem Jahr 1972 und sollte 2005 erneuert werden. Doch mit der Version, die sich Politiker in Stockholm und Oslo ausgedacht hatten, konnten die Rentierzüchter nicht leben. Vertreter von Samen aus beiden Ländern machten also gemeinsam einen eigenen Vorschlag. "Seither sind Jahre vergangen. Wir wissen nicht, was mit dem Dokument passiert ist", sagt Jåma.

Eine Rentierwanderung live im Fernsehen

Für die Samen dreht sich bei dem Konflikt alles um Weidegebiete. "1972 waren die schwedischen Züchter die Verlierer", sagt Per-Olof Nutti, Vorsitzender des schwedischen Sami-Parlaments und Rentierzüchter. Damals hätten sie Gebiete und Rechte in Norwegen verloren, die sie nun zurückhaben wollen. Norwegerin Ellinor Marita Jåma hat Verständnis: "Wir müssen akzeptieren, dass es immer schwedische Rentiere in Gebieten gab, die heute zu Norwegen gehören." Die Ankündigung des norwegischen Ministers verursache allerdings neuen Streit. "So lange es keine Einigung zwischen den Regierungen gibt, gibt es Konflikte zwischen den Rentierzüchtern."

Ein Problem sei etwa die riesige Diskrepanz zwischen den Gesetzen. Es könne passieren, dass Rentiere nach schwedischem Recht in einem Gebiet grasen dürfen, in dem es nach norwegischem aber verboten sei, sagt Ellinor Marita Jåma. Viele Züchter klagen ohnehin darüber, dass Weideland knapper wird. Zwar dürfen die Rentiere offiziell 40 Prozent der norwegischen Fläche nutzen, doch sie konkurrierten mit der Tourismusindustrie, mit Windrädern, Staudämmen und Minen.

Landwirte beschweren sich, dass die freilaufenden Tiere ihnen die Setzlinge von den Feldern fressen. Das Landwirtschaftsministerium forderte daher immer wieder von den Züchtern, ihre Herden zu verkleinern. Doch als ein junger Same kürzlich gegen den Staat vor Gericht zog, weil er plötzlich 41 seiner 116 Tiere schlachten sollte, gewann er.

Nun will Oslo schwedische Rentiere einfach aussperren. Doch Per-Olof Nutti vom schwedischen Sami-Parlament macht sich keine Sorgen: "Die können die Grenze nicht schließen, das ist unmöglich." Einen Grenzzaun gibt es nicht. Und der Weg zur Nordküste führt nun mal durch Norwegen. Im Frühjahr konnten die Norweger so eine Rentierwanderung live verfolgen: Der TV-Sender NRK begleitete eine Herde eine Woche lang ohne Unterbrechung, die neueste Folge im beliebten "Slow-TV"-Format. Am Ende sollten die Tiere auf eine Insel schwimmen, um dort den Sommer zu verbringen. Doch das Wetter war zu schlecht, die Sendung brach ohne Höhepunkt ab. Und die Norweger haben wieder einmal erfahren, dass Rentiere sowieso machen, was sie wollen.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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