Terrorismus:Analyse: Schockstarre in Frankreich

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„Verantwortliche Gruppen und Individuen ausmerzen“ - Frankreichs Präsident François Hollande zeigt sich entschlossen. (Foto: Etienne Laurent)

Saint-Quentin Fallavier (dpa) - Frankreich ist erneut in Schockstarre. Der Terroranschlag auf ein Werk für Industriegase in einem kleinen Ort bei Lyon führt den Menschen brutal vor Augen, wie wenig die islamistische Bedrohung im eigenen Land kalkulierbar ist. Keine sechs Monate nach "Charlie Hebdo" ist der Horror zurück.

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Saint-Quentin Fallavier (dpa) - Frankreich ist erneut in Schockstarre. Der Terroranschlag auf ein Werk für Industriegase in einem kleinen Ort bei Lyon führt den Menschen brutal vor Augen, wie wenig die islamistische Bedrohung im eigenen Land kalkulierbar ist. Keine sechs Monate nach „Charlie Hebdo“ ist der Horror zurück.

Das Werk in Saint-Quentin Fallavier war nicht durch besondere Maßnahmen geschützt. Doch hinter den Zäunen des Geländes verbirgt sich hochsensibles Material. Der Hersteller Air Products ist durch EU-Regelungen für Unfälle mit gefährlichen Stoffe erfasst. Die „Seveso“-Richtlinie geht auf den schweren Industrieunfall in dem italienischen Ort 1976 zurück.

Fabrikation mit gefährlichen Produkten gibt es viele in Frankreich, gerade auch in der Provinz, jenseits großer Städte. Nach dem Anschlag vom Freitag ordnete die Regierung für die Region erhöhte Sicherheitsvorkehrungen an.

Im Großraum Paris herrscht noch immer oberste Terrorwarnstufe. Schwer bewaffnete Einheiten von Polizei, Gendarmerie oder Militär bis hin zur Fremdenlegion patrouillieren bis heute neben Touristen in Shorts und mit Eiswaffeln. Wenn der Eiffelturm für eine Übung geräumt wird, gleicht der sonst von buntem Treiben geprägte Platz unter dem Besuchermagneten innerhalb von Minuten einer militärischen Festung.

Die beispiellose Terrorserie vom Januar ist den Menschen in Frankreich bis heute präsent. Beim Anschlag auf das religionskritische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ starben in Paris zwölf Menschen, in den Tagen darauf wurde eine Polizistin erschossen, vier Menschen starben bei einer Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Die drei für die Attacken verantwortlichen Islamisten wurden bei Befreiungsaktionen erschossen.

Im April vereitelte die Polizei einen Terrorangriff auf eine Kirche. Der mutmaßliche Täter soll Kontakte nach Syrien gehabt haben. Kurz zuvor hatten bis heute Unbekannte bei einem Cyber-Angriff auf den französischen Sender TV5 Monde IT-Systeme gekapert und die Ausstrahlung der Fernsehprogramme stundenlang blockiert. Auf Webseiten und Social-Media-Konten des Senders wurde Propaganda der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) platziert.

Viele Franzosen sind verunsichert, weil die Terroristen teils lange vor den Attacken bereits vom Netz der Fahnder erfasst waren. Die Mörder von „Charlie Hebdo“ waren den Ermittlern ebenso bekannt wie der Islamist im Supermarkt. Der verhinderte Kirchen-Attentäter stand ebenfalls in einschlägigen Akten.

Der nach dem jüngsten Anschlag von Freitag festgenommene Mann ist den Terrorfahndern auch nicht unbekannt. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve berichtete von Verbindungen zur salafistischen Bewegung. Eine 2006 angelegte Akte wurde dann aber 2008 nicht fortgeschrieben. Gegen den Mann lag nichts vor.

Wegen seines internationalen Kampfes gegen den Terror ist Frankreich seit Jahren im Fadenkreuz von Islamisten. In Mali kämpfen französische Truppen seit mehr als zwei Jahren gegen terroristische Rebellen im Norden des Landes. Auch in anderen afrikanischen Staaten sind französische Militärs deswegen im Einsatz. Im Norden Iraks fliegen französische Kampfjets an der Seite von US-Verbänden und anderen Verbündeten Einsätze gegen IS-Milizen und deren Stellungen.

Nach dem Anschlag von Freitag zeigte sich Präsident François Hollande entschlossen. Die Franzosen verlangten nicht nur Schutz vor solchen Angriffen, sagte der Staatschef. Es gehe darum, „die Gruppen und die Individuen, die für solche Anschläge verantwortlich sind, auszumerzen“.

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