Terror in Toulouse:Frankreich jagt den kaltblütigen Killer

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Sie jagen einen Profi: Nach den Morden von Toulouse fahnden Hunderte Ermittler nach dem unbekannten Täter. Noch wissen sie so gut wie nichts über ihn - außer, dass er seine Taten bis ins Detail plante und mit großer Brutalität vorging. Und, dass er möglicherweise Video-Clips seiner Verbrechen ins Netz stellen möchte.

Thomas Kirchner und Hans Leyendecker

Mit einem kurzen Satz wies Innenminister Claude Guéant am Dienstag alle Spekulationen zurück: "Wir wissen nicht, wer es ist. Wir setzen die Arbeit fort, weiter sind wir nicht im Moment." "Wir", das sind Hunderte Polizisten aus dem Großraum Toulouse sowie 200 Spezialisten der Kriminalpolizei. Sie suchen den unheimlichen Unbekannten, der den Südwesten des Landes terrorisiert und sieben Menschen auf dem Gewissen hat.

Polizisten stehen nach den Anschlägen auf eine jüdische Schule in Paris Wache am Tatort. Bislang gibt es so gut wie keine Hinweise auf die Identität des Attentäters. (Foto: AP)

Ihr größtes Problem: Es gibt fast keine Spuren. Zwar verlor der Täter in Montauban ein Revolver-Magazin, doch befanden sich weder Fingerabdrücke noch DNS von ihm daran. Auch Handydaten gibt es keine von ihm. Und obwohl er von Dutzenden Überwachungskameras gefilmt wurde, kann die Polizei noch kein Phantombild von ihm zeichnen, weil er stets einen Helm trug. Eine Zeugin will einen Teil seines Gesichts samt Tätowierung oder Narbe auf der linken Wange gesehen haben, als der Täter sie in Montauban anrempelte und das Visier für einen kurzen Moment verrutschte. Andere beschreiben den Unbekannten als mittelgroßen, hellhäutigen Mann.

Offensichtlich ist der Täter versiert im Umgang mit Waffen. Er schoss jedesmal mit einer schweren automatischen Waffe vom Kaliber 11,43 Millimeter, in der jüdischen Schule auch mit einer etwas kleineren Pistole. "Das ist ein Profi oder ein früherer Profi", zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen Ermittler. Als wahrscheinlich gilt die These, es handle sich um einen Soldaten oder ehemaligen Soldaten, der Ausländer, besonders Juden und Muslime hasst. Die drei getöteten Fallschirmjäger stammen alle aus Nordafrika. Für eher unwahrscheinlich halten Experten einen Terrorakt einer ausländischen Gruppe.

Der Täter muss sich in der Gegend sehr gut auskennen. Vom Tatort in Montauban flüchtete er auf kleinsten Straßen mitten durch die Stadt, auf jenem in Toulouse gestohlenen, schwarzen Motorroller der Marke Yamaha T-Max, den er vermutlich auch bei seiner jüngsten Tat benutzte - auch wenn sich manche Zeugen an eine weiße Farbe erinnern. Es ist ein schweres Fahrzeug, das aussieht wie ein Motorrad und 165 Kilometer die Stunde fahren kann.

Ermittler beschreiben den Täter als kaltblütig, berechnend, brutal. Er muss seine Anschläge bis ins Detail geplant haben, ähnlich wie Anders Behring Breivik, der Massenmörder von Oslo. Sonst hätte er nicht so wenig Spuren hinterlassen können. Beim ersten Mord in Toulouse reagierte er offenbar auf die Kleinanzeige eines Soldaten, der sein Motorrad verkaufen wollte. Am vereinbarten Treffpunkt tötete er sein Opfer mit einem einzigen Schuss.

"Man merkt, dass er Übung in sowas hat"

Wie unbarmherzig er vorgeht, zeigt die Aussage der Vertreterin einer jüdischen Organisation, die das erschütternde Videomaterial vom Attentat in der Schule gesehen hat. Demnach packte der Mann sein letztes Opfer, ein Mädchen, an den Haaren und hielt es fest, während er wegen einer Ladehemmung seine Waffe wechselte. "Er machte dabei einen völlig ruhigen Eindruck", sagte die Frau. "Er ist durchtrainiert und zeigt keine Regung. Man merkt an der Art, wie er sich bewegt, dass er Übung in sowas hat." Den Fallschirmjägern in Montauban schoss er aus einiger Entfernung jeweils drei bis vier Geschosse in den Hinterkopf.

Ein eindeutiges Motiv ist noch nicht erkennbar. Rechtsextremismus könnte eine Rolle spielen, aber auch Rache. Vielleicht ist der Gesuchte einer der drei ehemaligen Soldaten des 17. Fallschirmjägerregiments in Montauban, die wegen rechtsextremistischer Gesinnung 2008 entlassen worden waren. Die Wochenzeitung Le Canard Enchaîné hatte damals ein Foto gezeigt, auf dem die drei Männer in eine Hakenkreuzfahne gewickelt die Hand zum Hitler-Gruß recken. Ein Kamerad hatte die Männer bei der Regimentsführung angezeigt, woraufhin sie laut dem Magazin Le Point "schwer bestraft" und aus der Armee geworfen wurden. Sie sollen stark tätowiert sein. Einer ist jetzt bei den Gebirgsjägern, der zweite arbeitete bis vor kurzem in einem Restaurant in Montauban. Den dritten hat die Polizei noch nicht gefunden.

Sicher ist, dass der Mörder den Angriff auf die jüdische Schule filmte - oder zumindest filmen wollte. Ein Zeuge hat laut Minister Guéant gesehen, dass der Täter eine Mini-Kamera um den Hals trug, wie sie Snowboarder, Trickskifahrer oder Fallschirmspringer oft benutzen. Die Ermittler durchsuchen nun das Internet nach einem entsprechenden Clip. Hier zeigt sich eine weitere Parallele zum Fall Breivik und zu anderen Terrortaten der jüngeren Vergangenheit. Zu deren Logik gehört es, den Tod des Opfers zu dokumentieren.

Video und Bilder als Trophäen

Auch Breivik hatte das Morden auf der Insel Utoya filmen und das Video ins Internet stellen wollen. Doch der Akku der Kamera war leer. Die Mörder der Zwickauer Terrorzelle bastelten sechs Jahre lang an einem Bekenner-Video, zu dem auch die Fotos der zehn Opfer gehören. Die Täter, das haben die Ermittler festgestellt, müssen in mindestens drei Mordfällen die Leichen sofort nach der Tat fotografiert haben.

Begonnen hat die Kampagne des dokumentierten Grauens schon früher. 2002 enthaupteten Islamisten den US-Journalisten David Pearl vom Wall Street Journal und stellten das Verbrechen als Videoclip ins Internet. Zwei Jahre später filmten Terroristen in Irak die Ermordung der US-Geisel Nicholas Berg; die Mörder sprachen in einem Video davon, Bergs Hinrichtung sei eine direkte Antwort auf die Misshandlungen von Gefangenen im Gefängnis Abu Ghraib durch US-Soldaten.

Im Terrorismus war es früher üblich, dass die Mörder ihr Geständnis in Form von Kommuniqués publizierten. Heute folgt der Schrecken einem anderen Ritual: Zumindest im Fall Zwickau ersetzte der Film den Bekennerbrief. Und der mysteriöse Serienkiller von Toulouse hat offenbar ähnliche Pläne.

© SZ vom 21.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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