Sonnenfinsternis in China:"Vertreibt den Himmelshund"

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Selbst von dicken Regenwolken lassen sich die Chinesen die längste Sonnenfinsternis des Jahrhunderts nicht verderben.

Henrik Bork

"Ganbei", sagt Hai Chen, "Prost". Dazu verdreht sie die Augen. Das war's dann wohl mit der Sonnenfinsternis, will sie damit sagen. Auf der Terrasse des Restaurants "M on the Bund" klirren die Champagnerflöten. Sich von einer Regenwolke die Party verderben lassen? Nicht hier in Shanghai! Und schon gar nicht auf dieser Dachterrasse, der teuersten astronomischen Beobachtungsplattform diesseits des Himalaya.

Den goldenen Tempel von Amritsar in Indien hat das Himmelsspektakel in Dämmerung und dann in Finsternis gehüllt. (Foto: Foto: dpa)

Die "längste Sonnenfinsternis des Jahrhunderts" ist für diesen Mittwochmorgen vorhergesagt worden. Das "M on the Bund" ist seit Monaten ausgebucht. Auch unten "am Bund", an der Uferpromenade, drängeln sich die Neugierigen. Drei Stadtparks in Shanghai sind gefüllt mit Menschen, die sich mit Teleskopen, Kameras und den viereckigen Schutzbrillen bewaffnet haben. Auf den Straßen sind Sonderstreifen der Polizei unterwegs, auf dem Huangpu-Fluß sogar Patrouillenboote. An alles hat man gedacht, sogar daran, die Nachteulen im Zoo mit Lampen anzustrahlen. Sie würden sonst nervös, hat Zoodirektor Xiong Chenpei erklärt. Und jetzt das!

Millionen Augenpaare verfolgen die Sonne

Um viertel nach neun Uhr an diesem denkwürdigen Morgen verfolgen Millionen von Augenpaaren in Shanghai eine dicke, fiese Wolke. Sie ist der Star des Tages. Wie aus dem Nichts ist sie über dem Stadtteil Pudong aufgetaucht, hat den hässlichen Fernsehturm oberhalb seines fetten Kugelbauchs gestreift, ist nach Westen ausgeschert, genau auf die Sonne zu. Und schiebt sich darüber. Um zwanzig nach Neun, im "M" werden gerade die Blinis mit Kaviar serviert, fällt der erste Regen. Hai Chen, eine 37-jährige Künstlerin, die in ihrer Boutique am Bund blauweiße Keramikmöbel verkauft, erzählt ihrer gelangweilten Tochter Marielle, drei Jahre, eine Fabel. "Im Himmel wohnt der Himmelshund. Wenn er böse ist, beißt er sich ein Stück von der Sonne ab. Dann müssen die Menschen auf der Erde Krach machen, um ihn wieder zu verjagen."

Um 9 Uhr 36 tritt das Ereignis ein. Die Wolkenkratzer am anderen Ufer leuchten plötzlich. Strahlend weiß steht die alte Turmuhr auf dem Zollamt wie ein zweiter Mond am pechschwarzen Himmel. Die Uferstraße da unten ist wieder eine Schlange mit gelbglühenden Augen. Es ist Nacht, mitten am Tag, und es ist beeindruckend schön. In diesem romantischen Moment dreht sich ein Investmentbanker am Geländer zu seiner kurzberockten Begleiterin. "In Peking haben wir jeden Tag Sonnenfinsternis, wegen dem Smog", sagt er.

Fotos, Kuss, ein Schluck aus der Champagnerflöte

Fünf Minuten und eine Sekunde lang dauert das Spektakel. Zeit genug für mehrere Fotos, einen Kuss und ein weiteres Glas Champagner. Die kleine Marielle schaut ein wenig verängstigt nach oben, in Richtung Himmelshund. Fast zur selben Zeit und 600 Kilometer weiter, wie später einem Medienbericht zu entnehmen sein wird, ziehen fünf alte Damen mit Kochtöpfen durch die Straßen von Nanchang, Hauptstadt der Provinz Jiangxi. Mit Kochlöffeln trommeln sie auf den Töpfen herum. "Gan tiangoule", rufen sie, "vertreibt den Himmelshund." Und da wird klar, warum sich gerade dieser Aberglaube so hartnäckig gehalten hat: Kurz nachdem die Aktion begonnen hat, ist sie auch schon von Erfolg gekrönt. Es wird wieder Licht!

Professor Jiang Xiaoyuan, vom "Shanghai Drachen TV" als Kommentator im Studio eingesetzt, ist da schon wieder auf dem Heimweg. Was er gesehen hat, im Haus des Fernsehsenders, hat ihm nicht gefallen. Zum Glück hat er einen Blog, und so wird der Nachwelt eine kluge Analyse erhalten bleiben. Die Medien wecken erst die Neugierde der Menschen auf die Sonnenfinsternis, schreibt Jiang. Dann nehmen sie die Neugierde der Menschen als Vorwand, das Ereignis hochzujubeln. Alles sei nur ein großer "Medien-Karneval", so Professor Jiang.

Längste Finsternis bis 2150

Wenn das stimmt, dann mag es ein Trost sein, dass dies gerade weltweit die längste Sonnenfinsternis des Jahrhunderts war. Erst am 25. Juni 2150 soll sich der Mond noch länger vor die Sonne schieben und damit - vermutlich - einen noch größeren Karneval anschieben. Diesmal waren nur die Asiaten dran, nachdem es den Europäern schon 1999 ihre Sonnenfinsternis verregnet hatte.

250 Kilometer breit raste der Mondschatten diesmal quer durch den Osten des Erdballs, vom Golf von Kambhat in Indien über den Himalaya und dann den Jangtse-Fluß in China entlang, über einige südjapanische Strände hinweg bis zur Pazifikinsel Kiribati. Überall wurde kräftig gestaunt, sich gegruselt und geküsst, wurde mit indischen Kräutertees, Sake oder Champagner angestoßen. In Tibet haben sie außerdem, das schon um zehn vor neun, absichtlich ein paar Hirtenhunde geärgert, war zu lesen. Damit sie bellten und das Monster vertrieben, das die Sonne fressen wollte.

Viele Kaiserschnitte vor der Sonnenfinsternis

In der heiligen Stadt Varanasi in Indien nahmen Tausende von Gläubigen ein Bad im Ganges. In Indien frisst kein Himmelshund die Sonne, aber dafür der Gott Rahu. Manche Inder glauben, dass die Strahlen der Korona, also jener in Shanghai nicht sichtbare Strahlenkranz rund um die mondbeschattete Sonne, für Schwangere gefährlich sei. Eine große Zahl von Kaiserschnitten kurz vor der Finsternis soll es gestern gegeben haben. Die Astronomen, Hobby-Astronomen und die sogenannten "eclipse chaser" haben sich aus alldem klug herausgehalten. Sie haben sich stattdessen auf einen Berg in der Provinz Zhejiang verschanzt, 500 Amerikaner, Dänen und Deutsche.

Sie haben im Kreis Haiyan bei Hangzhou ihre Teleskope aufgestellt, zitierte die Nachrichtenagentur Xinhua den Chef des Pekinger Planetariums. Dort soll sogar, trotz einiger Wolken, die Korona gesichtet worden sein. Dafür garantiert keine Blinis mit Kaviar.

Um Viertel vor Zehn Uhr fällt Shanghai ein, dass sich, obwohl Sonne und Mond gerade ein Rendezvous hatten, die Erde trotzdem weiterdrehen muss. Die Flughäfen Hongqiao und Pudong International schalten zurück von Nachtnavigation auf Tagbetrieb. Die Stadtparks, wo Zehntausende eigens angereiste Touristen fröhlich im Regen gestanden haben, leeren sich. Auf der Terrasse des "M on the Bund" werden die mit Regenwasser gefüllte Champagnerflöten eingesammelt. "Das war schön", sagt Hai Chen zu ihrem Mann. "Gehen wir heim?" "Warum?" fragt die kleine Marielle.

© SZ vom 23.07.2009/abis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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