Schweden:Der stählerne Sarg

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Prestigeobjekt und Massengrab: Ein U-Boot, wie es die russische Marine vor hundert Jahren einsetzte. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Vor der schwedischen Küste haben Taucher ein russisches U-Boot gesichtet. Der Fund weckt Erinnerungen an die Zeit der Sowjets - dabei stammt das Boot wohl aus dem Ersten Weltkrieg.

Von Joachim Käppner und Yannick Nock

Schweden ist ein glückliches, weil friedliches Land; es blieb in beiden Weltkriegen neutral und ist es noch heute. Dennoch hat das Land ein gewisses U-Boot-Trauma, und zwar aus den Zeiten des Kalten Krieges, als die schwedische Marine immer wieder hinter ominösen Tauchbooten herjagte, sogar Wasserbomben warf. Als übliche Verdächtige galt damals die hochgerüstete Marine der Sowjetunion. Diese Vorgeschichte, die mehrfach zu erheblichen Verstimmungen zwischen Stockholm und Moskau geführt hatte, erklärt ein wenig die Aufregung über den neuesten Fund in der Ostsee.

Keine drei Kilometer vor der Ostküste ist am Meeresgrund ein Wrack mit kyrillischen Schriftzeichen gefunden worden. "Das U-Boot ist komplett intakt, hat keine sichtbaren Schäden am Schiffskörper und die Luken sind geschlossen", sagte Stefan Hogeborn vom Ocean-X-Team in Stockholm, einer privaten Tauchfirma. Er gehe davon aus, dass "die Besatzung sich nicht retten konnte". Sollte das zutreffen, dann liegen die Seeleute schon sehr lange dort unten in ihrem stählernen Sarg, fast ein Jahrhundert lang. Es scheint sich um ein Boot aus dem Ersten Weltkrieg zu handeln, das 1904 in Wladiwostok gebaut wurde und 1916 nach einem Unfall in der Ostsee sank. Schwedens Marine bestätigte inzwischen den Fund von 18 Leichen auf dem Meeresgrund. Ein Armeesprecher teilte am Dienstag mit, nach Ansicht der Fotos sei davon auszugehen, dass das U-Boot "Som" Teil der russischen Ostseeflotte aus dem Ersten Weltkrieg gewesen sei. Wahrscheinlich sei es nach einer Kollision mit einem schwedischen Schiff am 10. Mai 1916 havariert.

Der Fund bringt viele Erinnerungen an finstere Zeiten zurück. Für die Schweden waren die wiederholten U-Boot-Meldungen während des Kalten Krieges eine Demütigung - wenn sie denn stimmten. Das Szenario des besten Falls lautete: Sonar und Elektronik der Seeaufklärung gaben Fehlalarm, verwechselten vielleicht Wale mit U-Booten. Das wäre peinlich gewesen, aber politisch kein Problem, anders als der schlechteste Fall: Dann hätten die Sowjets in den inselreichen und schwer zu kontrollierenden Gewässern vor Schweden jahrelang Katz und Maus mit einem neutralen Land gespielt, warum auch immer. Als Theorien für das Motiv kamen infrage: Die wollen nur üben - aber ein wenig unter echten Bedingungen; sie wollen Schweden einschüchtern, damit es sich im Konfliktfall nicht auf die Seite des Westens schlägt; sie treiben dort irgend etwas ganz Geheimes und Finsteres.

Viele Schweden freilich glaubten gleich gar nicht, dass die Russen dahintersteckten; sie vermuteten Provokationen der Nato, die im Land Unsicherheit und Feindschaft gegen Moskau schüren wolle. Diese Theorie verlor nicht wenig an Anziehungskraft, als 1981 tatsächlich ein sowjetisches U-Boot gesichtet wurde, zum ersten und einzigen Mal, allerdings ohne Zutun schwedischer Streitkräfte. Die S-363 der "Whiskey-Klasse" (Nato-Jargon) war von selber auf Grund gelaufen, mitten in einem militärischen Sperrgebiet vor dem Marinehafen Karlskrona. Der Vorfall wurde weltweit als "Whiskey on the Rocks"-Affäre bekannt und führte trotz des ungewöhnlich hübschen Namens zu einer diplomatischen Krise. Die sowjetische Regierung bestritt jede Spionageabsicht und machte einen Navigationsfehler geltend, den Nato-Störsender verursacht hätten.

1981, kurz nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan, hatte die Entspannung zwischen Ost und West gelitten; es fehlte nicht an Warnungen vor einem aggressiven Auftreten der Sowjetmarine in der Ostsee. An all das fühlten sich die Schweden angesichts erkaltender Beziehungen zu Putins Russland erinnert, als im Oktober 2014 ihre Kriegsschiffe angeblich wieder auf der Spur eines U-Boots waren, ohne es zu finden, genau wie früher.

Der Historiker Andreas Linderoth hat seine eigene Theorie: Das Boot sei im Mai 1916 gesunken

Der neue Fund führt dagegen zurück in den Ersten Weltkrieg, als die Ostsee zwischen den Reichen des deutschen Kaisers und des russischen Zaren umkämpft war. Die russische Marine setzte, anders als die deutsche vor allem im Atlantik, die relativ neue U-Boot-Waffe nur sehr begrenzt ein, sie verfügte nicht über viele Boote. Aus dieser Zeit stammt wohl das Gefährt, das 20 Meter lang und 3,5 Meter breit sein soll; heutige Boote sind meist um ein Vielfaches größer. Die Maße stimmen überein mit jenen der "Som"-Klasse, die Russlands Marine kurz vor dem Ersten Weltkrieg anschaffte, mit einer Standardbesatzung von 18 Seeleuten. An diese Variante glaubt auch Andreas Linderoth. Der 43-Jährige ist Historiker und Forschungskoordinator des Marinemuseums Karlskrona. Der SZ sagte er: "Ich gehe davon aus, dass es sich tatsächlich um das im Mai 1916 gesunkene russische U-Boot der Som-Klasse handelt. Es soll bei schlechter Sicht mit einem schwedischen Frachter kollidiert und gesunken sein." Die anfangs geäußerte Spekulation, dass ein modernes russisches U-Boot bei einer Erkundungstour gesunken sein könnte, sei ziemlich abwegig gewesen: "Warum sollte ein U-Boot, das nicht entdeckt werden will, kyrillische Schriftzeichen enthalten? Das wäre nicht sehr intelligent. Die Russen hätten es viel besser getarnt."

Weitere Informationen: sz.de/U-Boot

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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