Reemtsma-Entführer:Warum Drach auswandern darf

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Wer aus dem Gefängnis freikommt, wird oft staatlicher Führungsaufsicht unterstellt und muss bestimmte Auflagen erfüllen. Doch an Deutschlands Grenzen endet das Hoheitsgebiet. Was aber, wenn Ex-Häftlinge einfach auswandern, wie Reemtsma-Entführer Drach das jetzt angekündigt hat?

Von Lena Jakat

Einen Plastikreif am Knöchel tragen, der ständig seinen Aufenthaltsort an die Behörden übermittelt, zur Agentur für Arbeit gehen, und sich jede Woche bei einem Bewährungshelfer melden. Das alles müsste Reemtsma-Entführer Thomas Drach nach seiner Entlassung tun. Das heißt, falls er sich in Deutschland aufhält. Nach Angaben der Hamburger Justiz hatte er aber bereits vor Ende seiner Haft angekündigt, auszuwandern.

An den Staatsgrenzen endet das deutsche Hoheitsgebiet. Die Führungsaufsicht sieht nicht ins Ausland, könnte man sagen. Führungsaufsicht, das bedeutet ein Programm der verschärften Überwachung, wie es Gerichte für manche Straftäter nach ihrer Entlassung vorsehen. Für eine Übergangszeit müssen sie sich unter den strengen Augen von Bewährungshelfern bewegen und sich regelmäßig melden - nur bei schweren Delikten wird dies angeordnet. Damit können allerlei Auflagen und Weisungen einhergehen - von der Meldepflicht bis hin zum Verbot, Auto zu fahren oder Alkohol zu trinken. Alles, um einen Rückfall zu verhindern.

Im Falle des Reemtsma-Entführers hat das Hanseatische Oberlandesgericht die Führungsaufsicht wie folgt geregelt:

  • Wöchentliche Meldung bei einem Bewährungshelfer
  • Begründung eines festes Wohnsitzes sowie "Anzeige eines Wohnsitzwechsels"
  • Meldung bei der Agentur für Arbeit oder Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
  • Tragen einer elektronischen Fußfessel
  • Verbot von Waffenbesitz
  • Verbot einer Kontaktaufnahme zu Jan Philipp Reemtsma

Lediglich die beiden letzten Punkte gelten auch, wenn Drach sich im Ausland aufhält. Und was Drach dazu bewöge, noch einmal Kontakt zu seinem Opfer aufzunehmen, ist ohnehin schwer vorstellbar.

Mit der elektronischen Fußfessel erreichte am 1. Januar 2011 die moderne Technik das deutsche Strafrecht. Eine Technik, die sich - rein hypothetisch - auch über Staatsgrenzen hinweg einsetzen ließe, schließlich enden auch Navi-Landkarten nicht an der Grenze zu Dänemark oder Italien im weißen Nichts.

Absicht: Prävention

Es stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, weshalb dem verurteilten Entführer Drach überhaupt eine Fußfessel angelegt werden sollte. "Sie ist eigentlich für ganz andere Fallkonstellationen gedacht", sagt Matthias Jahn, Strafrechtler an der Goethe-Universität Frankfurt. Die Absicht hinter der vor allem für Sexualdelikte eingeführten Technik besteht nämlich eigentlich darin, potenzielle Opfer vor einer Wiederholungstat zu schützen, ohne dabei den Entlassenen zu sehr zu stigmatisieren oder einzuschränken. (Siehe zum Beispiel Debattenbeitrag hier)

Nun hatte das Oberlandesgericht in Hamburg die Fußfessel bereits angeordnet - warum also nicht über deutsche Grenzen hinweg überwachen? Dagegen sprechen einerseits europarechtliche Grundsatzfragen. Welche Kompetenzen soll der Nationalstaat abgeben? In welchem Umfang? An wen genau? Und andererseits: die Praxis. "Wir schaffen es gerade mal, Bundeländergrenzen zu überwinden", sagt Jahn. So sei einem Modellversuch, bei dem die Daten von baden-württembergischen Fußfesseln in Hessen ausgewertet werden, eine jahrelange Verhandlungsphase vorausgegangen. Selbst falls politisch der Wille nach einer europaweiten Fußfessel da wäre: In die Zeitspanne, die bis zur Umsetzung verginge, würden wohl viele lebenslängliche Haftstrafen hineinpassen.

Zwar sieht das Strafgesetz die Möglichkeit vor, im Rahmen der Führungsaufsicht den Bewegungsradius Entlassener einzuschränken. (Gesetzestext siehe hier) Doch auch dafür bräuchte es triftige Gründe, Rückfallgefahr etwa.

Und so kann sich Drach als freier Mann bewegen. Zumindest in Europa, wo ein Personalausweis zum Reisen ausreicht.

Will er einen Pass beantragen und ins nicht-europäische Ausland, wird es schon komplizierter, erläuterte Martina Renz-Bünning, Vizepräsidentin des Verbands deutscher Strafrechtsanwälte und Strafverteidiger, im Gespräch mit der dpa. "Darauf hat er keinen Rechtsanspruch. Das könnte die Behörde verweigern. Das nächste Problem ist, dass er ein Visum braucht zur Einreise. Das können die jeweiligen Länder verweigern."

Jagd nach dem Lösegeld

Umgerechnet 15 Millionen Euro erpressten Drach und seine Komplizen 1996 von der Familie Reemtsma. Bezahlt wurde in D-Mark und Franken. Ein Großteil des Geldes soll noch irgendwo versteckt sein. Es wird vermutet, dass Drach versucht, an das Geld zu gelangen. Dafür, dass deutsche Ermittler ihn dabei überwachen, gibt es jedoch keinen wirklichen Grund. Schließlich hat er seine Strafe verbüßt. So stellt auch Strafverteidigerin Renz-Bünning klar: "Das Lösegeld hat nichts mit dem eigentlichen Strafverfahren zu tun. Das Lösegeld gehört ja nicht dem Staat, sondern Herrn Reemtsma. Wobei dieses Nichtauffinden des Lösegeldes beim Strafmaß berücksichtigt wurde."

Und der Eigentümer will seine Millionen zurück. "Es ist ein störender Gedanke, dass er möglicherweise von dem Geld, was er auf die Seite gebracht hatte, sich ein gutes Leben machen kann", sagte der heute 60-jährige Reemtsma vor einigen Tagen im Radiosender NDR Info. Reemtsma hat eine private Sicherheitsfirma eingeschaltet. Die Jagd nach dem Lösegeld ist eröffnet.

Mit Material von dpa.

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