Prozess:Zweifelsfrei totgeschüttelt

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Vor dem Wohnblock in Altona-Nord, in dem Tayler mit 13 Monaten tödlich verletzt wurde, haben Menschen im Dezember 2015 ihre Anteilnahme ausgedrückt. (Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Tayler aus Hamburg wurde nur 13 Monate alt, er ist an seinen Hirnverletzungen gestorben. Ein Gericht hat Taylers Stiefvater für schuldig befunden. Der Mann muss wegen Totschlags für elf Jahre ins Gefängnis.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Richterin Petra Wende-Spors sagt mit tonloser Strenge: "Der Angeklagte wird wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt." Und während Michael Q. das Strafmaß schweigend hinnimmt, wird im Zuhörerraum ein spitzer Jubelschrei laut. Michael Q. hatte in den Wochen des Prozesses vor dem Landgericht Hamburg stets bestritten, dass er den 13 Monate alten Tayler am 12. Dezember 2015 in der Wohnung seiner Lebensgefährtin Jacqueline B. zu Tode geschüttelt habe. Keinen Millimeter wich er ab von seiner Position, er wirkte wie ein Fels in der Brandung der Vorwürfe. Für alle, die ihn für schuldig hielten, muss das eine Nervenprobe gewesen sein. Jetzt, da das Gericht ihn schuldig spricht, entlädt sich bei einer Frau die Anspannung. Petra Wende-Spors mahnt zur Ruhe und fährt fort mit der Begründung zu der Entscheidung, die der Forderung der Staatsanwaltschaft folgt.

"Tayler war für mich wie ein eigener Sohn", hatte der Angeklagte stehts beteuert

Das Urteil im Fall des kleinen Tayler war mit Spannung erwartet worden. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Michael Q. nicht mehr einräumte, als dass er am betreffenden Tag mit Tayler alleine war und dass dieser plötzlich unregelmäßig atmete und krampfte. "Ich habe Taylor nicht geschüttelt", erklärte er, "Tayler war für mich wie ein eigener Sohn." Dabei blieb er, während das Gericht in einer langwierigen Beweisaufnahme die Wahrheit herauszufinden versuchte. "Zweifelsfrei", sagte Richterin Wende-Spors am Montag, habe Q. Taylers Kopf zehn- bis fünfzehnmal derart heftig hin und her bewegt, dass dieser jene Kopfverletzungen davontrug, an denen er eine Woche später im Krankenhaus starb.

Das Urteil fußt einerseits auf Zeugenaussagen und SMS-Nachrichten, die nach Auffassung des Gerichts belegen, dass Tayler noch in einem guten Zustand war, als Jacqueline B. an jenem Samstagnachmittag mit ihrem älteren Sohn und dem Sohn von Q. die Wohnung verließ. Vor allem aber stützt sie sich auf ein Gutachten, das der Rechtsmediziner Klaus Püschel vom Universitätskrankenhaus Eppendorf gemeinsam mit seinen Kollegen vorlegte. Dieses habe "ein sogenanntes Vollbild eines Schädeltraumas" festgestellt. Q.s Annahme, Tayler könnte sich dieses beim Spielen mit anderen Kindern zugezogen haben, sei damit "als Schutzbehauptung widerlegt, und zwar klar widerlegt", sagt Richterin Wende-Spors. Das "Nachtatverhalten" sei außerdem kühl und ohne Anteilnahme gewesen. Als die Ärzte noch um Taylers Leben kämpften, habe sich Q. nicht mehr nach dem Kind erkundigt, sondern sei lieber in den Urlaub gefahren. "Das Verhalten ist von der von Ihnen behaupteten Vaterliebe weit entfernt", sagte Wende-Spors. Q.s Anwalt Elmar Böhm kündigte jedoch an, in Revision zu gehen. Er sagte: "Wesentliche Punkte sind nicht aufgeklärt worden."

Der Prozess gab Einblicke in ein halbprekäres Milieu, welches das Jugendamt überforderte. Jacqueline B., schweigende Nebenklägerin im Prozess, war schon vor Taylers Tod ihrer Situation mit zwei Kindern nicht gewachsen und führte einen Haushalt mit Mülltüten auf dem Balkon und Wäschebergen in der Wohnung. Nach einem Schlüsselbeinbruch war Tayler bei einer Pflegefamilie, ehe er wieder in die Obhut von Jacqueline B. kam. Deren Lebensgefährte Q., der zweimal pro Woche aushilfsweise als Auslieferungsfahrer arbeitete, wird als autoritärer und leicht entflammbarer Vater beschrieben. Kurz vor Taylers Tod fanden sich wieder Verletzungen: Eine Mitarbeiterin der Stiftung Rauhes Haus stellte auffällige blaue Flecken am Körper des 13 Monate alten Kindes fest. Taylers Geschichte ist so traurig, dass niemand was zu jubeln hat.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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