Prozess:Zwei Jahre, elf Monate

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Das Video vom Berliner U-Bahn-Treter ging um die Welt. Jetzt kam heraus: Er war bei der Tat nicht voll schuldfähig.

Von Verena Mayer, Berlin

Ein Mann hat mit seiner Frau gestritten. Als er danach auf einem U-Bahnhof die Treppe hinabläuft, tritt er der erstbesten Person in den Rücken, aus Frust, und weil er Alkohol und Drogen im Blut hat. Die meisten Verbrechen sind banal, Leben zerstören können sie trotzdem.

Das von Jana K. etwa, Studentin, 26 Jahre alt. Sie war auf dem Weg nach Hause, als sie plötzlich mit dem Kopf voran die Treppe hinunterstürzte, sich die Stirn aufschlug und den Arm brach. Das Video aus der Überwachungskamera vom Berliner U-Bahnhof Hermannstraße ging um die Welt, Jana K., die wegen Prüfungsangst und Panik vor öffentlichem Sprechen in psychologischer Behandlung war, sah sich mit einer beispiellosen Welle der Aufmerksamkeit konfrontiert. Die Tat hat sie buchstäblich aus ihrem Alltag katapultiert, sie konnte ihr Studium nicht fortsetzen, sie hat Angst, alleine aus dem Haus zu gehen, und sobald sie auf einem U-Bahnhof ist, muss sie sich festklammern.

Es handle sich um eine Tat, "die schockiert", sagt die Richterin

Am Donnerstag fiel das Urteil im Berliner Landgericht: Svetoslav S. muss für zwei Jahre und elf Monate ins Gefängnis.

Wusste S. überhaupt, was er tat? Der psychiatrische Sachverständige erzählte am Donnerstag zunächst von den desolaten Verhältnissen, in denen Svetoslav S. aufgewachsen ist. Der 28-Jährige kommt aus Bulgarien, wo er einer türkischen Minderheit angehört. Er wuchs mit elf Geschwistern in einer Familie von Hirten auf, der Vater trank und war gewalttätig. Die Kinder verdienten Geld, indem sie Müll sammelten, mit 16 lernte Svetoslav S. seine heutige Frau kennen, sie war damals 15. Als die beiden heiraten wollten, warfen die Familien sie hinaus. S. begann, sein Geld mit Stehlen zu verdienen, dann kam das erste Kind. S. war in Bulgarien im Gefängnis, später zog er mit Familie nach Deutschland, um auf dem Bau zu arbeiten.

2008 verletzte er sich bei einem Autounfall schwer am Kopf. Seither leide er an einem Frontalhirnsyndrom, sagt der psychiatrische Sachverständige. S. habe sich nicht mehr unter Kontrolle, werde schnell aggressiv, immer wieder komme es zu "Impulsdurchbrüchen". Dazu kamen Alkohol und Drogen, in der Tatnacht hatte S. acht Bier und eine Flasche Wodka getrunken, dazu Cannabis, Kokain und Crystal Meth konsumiert. S. sei wegen seiner Hirnschäden nicht voll schuldfähig, sagt der psychiatrische Sachverständige.

Das sieht auch die Richterin so. Sie verurteilt Svetoslav S. wegen gefährlicher Körperverletzung und einer exhibitionistischen Handlung. Weil die Schuldfähigkeit von S. vermindert war, sei die Strafe niedriger zu bemessen, so stehe es im Gesetz. Gleichwohl handle es sich um eine Tat, "die schockiert und das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit beeinträchtigt hat".

S. sieht zu Boden, während er das Urteil hört, er hat während des gesamten Prozesses kaum aufgeschaut. Im Zuschauerraum sitzt seine Frau, leise schluchzend. Sie hat drei Kinder, elf, zehn und sieben Jahre alt, sie kann weder lesen und schreiben. Sie versucht jetzt, die Familie mit Putzjobs durchzubringen.

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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