Prozess:"Unter großen Schmerzen"

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Jim Reeves (Archivbild eines Auftritts im Jahr 2015) war wohl nach einem Ehekrach im Berliner Hostel gestrandet. Am nächsten Morgen war er tot. (Foto: Ralf Müller/imago)

Die mutmaßlichen Mörder schweigen vor Gericht zum grausamen Tod des Musikers Jim Reeves in einem Berliner Hostel.

Von Verena Mayer, Berlin

Kurz denkt man, man sei beim Fernsehen: Die Moderatorin Shary Reeves, bekannt aus der ARD-Kindersendung "Wissen macht Ah!", ist gekommen, der Schauspieler und Moderator Mola Adebisi, der Sänger Mikey Cyrox aus der Show "The Voice of Germany". Doch das hier ist das Berliner Landgericht, und die drei sind gekommen, weil sie ihren Bruder, Freund oder Bandkollegen verloren haben, den Sänger Jim Reeves.

Reeves starb Anfang 2016 in einem Berliner Hostel. Zwei Männer, die mit ihm in einem Sechsbettzimmer untergebracht waren, sollen ihn geschlagen und gequält haben, bis er starb. Warum?

Das ist die Frage, die an diesem Mittwochmorgen oft gestellt wird. Schon auf dem Flur vor dem Saal 621, wo die Fernsehkameras die Angehörigen des Opfers umringen, Shary Reeves und ihre beiden Geschwister, die in dem Prozess Nebenkläger sind, haben sie sich auch schon oft gestellt. Auf eine Antwort warten sie bis heute.

Shary Reeves und ihre Schwester, zwei kleine zierliche Frauen, nehmen auf der Bank gegenüber den Angeklagten Platz, man sieht ihnen an, wie schwer es für sie ist, die Fassung zu wahren. Sie fixieren die Männer mit ihren Blicken. So, als könnten sie dadurch eine Antwort erhalten. Doch die Angeklagten sehen zu Boden, als ginge sie das alles nichts an.

Beide tragen das Haar kurz geschoren, Pawel A. ist an den Armen und am Hals tätowiert. Er ist der Ältere der beiden, 30 Jahre alt, wie der 23-jährige Adam K. kommt er aus Polen. Sagen wollen sie nichts, nicht einmal zu ihrem Beruf und ihrem Familienstand.

Bei der Verhaftung trug einer der Angeklagten einen Elektroschocker bei sich

Und so ist es an der Staatsanwältin, die Ereignisse der Nacht zum 1. Februar 2016 aufzurollen, in der Jim Reeves getötet wurde, "grausam und aus niederen Beweggründen". Demnach soll Reeves den beiden Männern, mit denen er in einem Mehrbettzimmer des Hostels übernachtete, sexuelle Handlungen angetragen haben. Daraufhin stürzten sich Pawel A. und Adam K. laut Anklageschrift auf den Musiker, schlugen und traten ihn, bis er sich nicht mehr wehren konnte. Sie brachen ihm die Rippen und vergewaltigten ihn mit einem Stuhlbein. "Er erlebte alles unter großen Schmerzen", sagt die Staatsanwältin. Ein Rechtsanwalt, der die Familie vertritt, sagt, "selbst für erfahrene Juristen" sei die Gewalt, die hier ausgeübt wurde, schockierend.

Reeves starb an schweren inneren Verletzungen, ein Gast des Hostels fand ihn am nächsten Morgen tot. Pawel A. und Adam K. waren da schon weg. Der 23-jährige K. wurde wenig später in Polen aufgegriffen, wo er bereits länger im Gefängnis saß. Sein Kollege, Pawel A., setzte sich nach Spanien ab, wo man ihn erst ein Jahr später fassen konnte. Als er verhaftet wurde, trug er gefälschte Ausweise und einen Elektroschocker bei sich. Er versuchte, sich gegen seine Festnahme mit Gewalt zu wehren.

Wie es zu dem Verbrechen kam und wie die beiden jeweils daran beteiligt waren, wird der Mordprozess klären müssen, für den zehn Verhandlungstage angesetzt sind. Klar ist nur, dass die Polen sich kannten, sie waren als Wanderarbeiter in Berlin und jobbten auf dem Bau. Sie wohnten im Hostel, wenn sie von der Arbeit zurückkamen, betranken sie sich.

Auch Jim Reeves war wohl in dem Hostel in Berlin-Charlottenburg gestrandet: Der 47-Jährige, der eigentlich aus Köln stammte, hatte sich mit seiner Lebensgefährtin gestritten und war für ein paar Tage von zu Hause ausgezogen. Reeves war zu der Zeit noch immer mit seiner Band Sqeezer unterwegs, mit der er in den 90ern Eurodance-Hits wie "Get It Right" und "Without You" gelandet hat. Eine Zeit lang war er mit dem Moderator und Musiker Mola Adebisi aufgetreten, die beiden waren befreundet, jetzt sitzt Adebisi im Zuschauerraum des Gerichtssaals.

Viel erfährt er nicht am ersten Tag, die Verhandlung wird nach zwei Stunden vertagt. Adebisi sagt, dass er wiederkommen wird, spätestens am Tag der Urteilsverkündung. Auch ihn quält die Frage nach dem Warum.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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