Prozess um getöteten Austauschschüler:Mit der Schrotflinte im Anschlag

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"Wir sind Diren": Kerzen und Blumen vor dem US-Konsulat in Hamburg. (Foto: Bodo Marks/dpa)
  • Im US-Bundesstaat Montana beginnt der Prozess gegen den Mann, der den deutschen Austauschschüler Diren D. getötet hat.
  • Der 17-Jährige Hamburger wurde erschossen, als er in einer Garage nach Alkohol suchte.
  • Entscheidend wird sein, ob die sogenannte "Castle Doktrin" in dem Fall greift.

Von Hans Holzhaider, Missoula

Es war kurz nach Mitternacht am Sonntag, dem 27. April 2014, als die Polizeibeamten Jones und Colyer am Deer Canyon Court, einer Seitenstraße am Rande der Stadt Missoula im US-Bundesstaat Montana, eintrafen. Sie sahen einen Mann, der vor einer Garage stand und mit der Hand ins Innere deutete. Der Mann habe angesichts der Situation ungewöhnlich ruhig gewirkt, sagte Jones später. Neben dem Hinterrad des in der Garage abgestellten Autos lag ein junger Mann auf dem Boden, der aus einer Kopfwunde blutete. Eine Frau kniete neben ihm und presste ein Tuch auf die Wunde. "Wer hat ihn erschossen?", fragte Jones.

"Ich", sagte der Mann.

Diren D., Sohn einer türkischstämmigen Familie aus Hamburg, wurde 17 Jahre alt. Er war Austauschschüler, lebte bei einer Gastfamilie, eine Straße weg von der Garage, in der er erschossen wurde, und besuchte die Big-Sky-Highschool in Missoula. Der Mann, der ihn erschoss, heißt Markus Kaarma, 30 Jahre alt. Über seinen Beruf gibt es unterschiedliche Angaben: Mal heißt es, er sei Feuerwehrmann, mal, er habe an der Universität von Montana Sportwissenschaft studiert. Er war wenige Monate zuvor mit seiner Lebensgefährtin Janelle P. und dem zehn Monate alten Sohn im Deer Canyon Court zugezogen.

Die Anklage: Vorsätzliche Tötung

An diesem Montag beginnt vor dem Bezirksgericht in Missoula der Prozess gegen Markus Kaarma. Die Anklage lautet auf "deliberate homicide", vorsätzliche Tötung. Das ist nach dem Gesetz in Montana das schwerste Tötungsdelikt, es kann mit der Todesstrafe geahndet werden. Die Staatsanwaltschaft glaubt, genügend Beweise dafür zu haben, dass Kaarma den deutschen Schüler vorsätzlich und nach Plan getötet hat, und sich dabei nicht auf das Notwehrrecht berufen konnte. Was in jener Nacht geschah, hat der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Andrew W. Paul in einer eidesstattlichen Erklärung zusammengefasst, die sich auf die Vernehmungsprotokolle von Kaarma, dessen Lebensgefährtin und weiteren Zeugen stützt.

Janelle P. gab an, bei ihnen sei während der letzten drei Wochen zweimal in der Garage eingebrochen worden. Sie habe daraufhin Bewegungsmelder und eine Videokamera installiert. An jenem Abend habe man das Baby ins Bett gebracht, im Whirlpool gelegen und danach einen Film angeschaut. Mehrmals, zuletzt kurz nach Mitternacht, seien sie zum Rauchen in die Garage gegangen und hätten die Garagentür offengelassen, damit der Qualm abzieht. Wenige Minuten später hätten die Bewegungsmelder angeschlagen, und auf dem Handy habe sie eine Person in der Garage gesehen. Kaarma habe eine Schrotflinte genommen und sei nach draußen gegangen. Sie habe Schüsse gehört, danach sei sie durch die Verbindungstür in die Garage gegangen und habe den schwer verletzten Jungen gefunden.

Handtasche als Köder ausgelegt

Kaarma gab an, er habe wegen der Dunkelheit nichts in der Garage sehen können. Er habe ein metallisches Geräusch gehört. Er sei in Panik geraten, weil er dachte, die Person in der Garage fühle sich wie ein Tier in der Falle und werde ihn gleich angreifen. Er habe viermal innerhalb weniger Sekunden geschossen, er habe hochgehalten und mit der Flinte von rechts nach links geschwenkt. Er selbst sei nach den Einbrüchen dafür gewesen, die Türen zu verschließen, aber seine Freundin habe darauf bestanden, die Tür offen zu lassen, um die Einbrecher anzulocken.

Eine Nachbarin bestätigte diese Darstellung. Sie berichtete, sie sei am Morgen nach dem Geschehen zu Kaarmas Haus gekommen, und Janelle P. habe ihr gesagt, sie brauche sich jetzt keine Sorgen mehr wegen des Einbrechers zu machen: "Er ist tot." Dann habe sie ihr erzählt, sie habe die Garagentür offen gelassen und eine Handtasche als "Köder" ausgelegt.

In der eidesstattlichen Erklärung des Staatsanwalts werden auch die Aussagen von zwei Angestellten in einem Friseursalon wiedergegeben, in dem sich Markus Kaarma am Mittwoch vor dem Ereignis die Haare schneiden ließ. Er habe dort in sehr obszöner Sprache angekündigt, er werde die Jugendlichen, die bei ihm einbrechen würden, töten: "Ich mach' keine Scheißwitze, Sie werden es in den Scheißnachrichten sehen, ich werd' sie verdammt noch mal abknallen." Außerdem sei er müde, weil er die letzten drei Nächte mit seiner Schrotflinte auf die "Kids" gewartet habe.

Wenige Wochen nach Direns Tod wurden in Missoula zwei Jugendliche festgenommen, die gestanden, sie seien in Kaarmas Garage eingedrungen und hätten dort ein Glasgefäß mit Marihuana, eine Haschpfeife und ein iPhone gestohlen. Robby P., ein Austauschschüler aus Ecuador, gab an, er sei in der Nacht zum 27. April mit Diren D. unterwegs gewesen. Diren habe in der Garage nach Alkohol gesucht. Ein Lehrer an der Big-Sky-Highschool sagte, es sei ein halbwegs geduldeter Brauch, dass Jugendliche in offenstehenden Garagen gelegentlich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank nehmen. Man nenne das "garage hopping". In Montana, wie in vielen anderen US-Bundesstaaten, ist der Alkoholkonsum erst ab 21 Jahren erlaubt.

Ein fünfköpfiges Verteidigerteam, angeführt von Paul Ryan, der auf seiner Homepage damit wirbt, er sei zum "besten Anwalt in Missoula" gewählt worden, wird sich nun bemühen, die Mordanklage zu widerlegen. Die Verteidigung wird sich auf das Notwehrrecht stützen, das in vielen amerikanischen Bundesstaaten weit großzügiger ausgelegt wird als in Deutschland.

Aber ob die in Montana geltende "castle doctrine" (abgeleitet von dem Sprichwort "My home is my castle") in diesem Fall greift, ist zweifelhaft. Das Gesetz verlangt, dass der Angriff gegen ein Wohngebäude gerichtet ist, und dass die Anwendung von Gewalt nur zulässig ist, wenn sie nach vernünftiger Abwägung unerlässlich ist, um einen Angriff auf eine Person in diesem Wohngebäude abzuwehren.

Mehrere Anträge der Verteidigung, den Prozess in einen anderen Bezirk zu verlegen, hat das Gericht bereits abgelehnt. Um die Geschworenen nicht zu beeinflussen, hat Richter Ed McLean es aber verboten, vor Prozessbeginn über etwaige Vorstrafen des Angeklagten zu berichten. Eine Lokalzeitung in Missoula hatte zuvor geschrieben, Markus Kaarma sei wegen häuslicher Gewalt vorbestraft.

© SZ vom 01.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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