Prozess um Aufruf zur Lynchjustiz:Zwischen Facebook-Fahndung und Informationsdruck

Das Netz hat die Informationsströme multipliziert und um ein Vielfaches beschleunigt. Soziale Medien haben Öffentlichkeiten erschlossen, denen sich auch die ermittelnden Behörden nicht verschließen können. Polizeipräsidien twittern, Dienststellen bitten die Bevölkerung per Facebook-Post um Mithilfe.

"Es wäre fahrlässig, wenn wir auf Facebook verzichten würden", sagt Frank Federau, Sprecher des Landeskriminalamts Niedersachsen. Die Polizei Hannover startete im März 2011 als bundesweit erste Dienststelle das Pilotprojekt Facebook-Fahndung. "Das Projekt lief sehr gut an", sagt Federau. Auch wenn sich der Erfolg nicht genau bemessen lasse, sprächen die Rückmeldungen aus dem Netz eine eindeutige Sprache. "Vor allem bei Straftaten in Bereichen, wo sich viele Jugendliche aufhalten, bekommen wir sehr schnell Rückmeldung."

So sinnig die Online-Fahndung für die Polizei erscheinen mag - sie setzt die Ermittlungen unmittelbar den Dynamiken des Netzes aus und wird durchaus kontrovers diskutiert. Kritiker wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar fürchten sogar, dass die Polizei so indirekt Lynchjustiz befördern könnte.

LKA-Sprecher Federau weist derlei entschieden zurück. Vier Mitarbeiter kümmerten sich im LKA um die Online-Fahndung, die Facebook-Seite werde rund um die Uhr überwacht, die Kommentare würden kontrolliert und gegebenenfalls gelöscht. "Unsere Seite ist auf keinen Fall ein Anpranger-Portal oder ähnliches", sagt Federau. Die Online-Fahndung erfolgt zudem in demselben engen Rechtsrahmen wir die traditionelle per Plakat.

Informationsdruck vs. Unschuldsvermutung

In Fahndungsaufrufen - ganz gleich, ob online oder offline - wendet sich die Polizei direkt an die Bevölkerung. Gerade bei aufsehenerregenden Kriminalfällen informieren die Ermittler zudem die Öffentlichkeit durch Pressekonferenzen und -mitteilungen über den aktuellen Ermittlungsstand - oft schon früh. Eine Praxis, die in dem Regensburger Strafrechtler Henning Müller einen ihrer schärfsten Gegner hat.

"Ich vertrete die These, dass Ermittlungsverfahren grundsätzlich nicht-öffentlich erfolgen sollten. Was im krassen Gegensatz zu einer Mediengesellschaft steht, die hochaktuelle Informationen fordert", sagt Müller. In den vergangenen zehn Jahren komme es immer häufiger vor, dass Polizei und Staatsanwaltschaft bereits sehr früh in der Ermittlungsphase Pressekonferenzen abhielten. "Einerseits wollen sie so zahlreichen, bisweilen störenden Presseanfragen zuvor kommen, andererseits wollen sie ihre Arbeit als erfolgreich darstellen." Unbeabsichtigte Folge sei mitunter die Vorverurteilung eines Verdächtigen - ob schuldig oder unschuldig. "Das ist äußerst problematisch, denn es gilt nun einmal die Unschuldsvermutung." Zudem setzten sich die Ermittler damit oft selbst unter Druck, denn von einem einmal öffentlich verkündeten Verdächtigen wieder abzurücken, ist schwierig. Anders als bei einer öffentlichen Fahndung - etwa auch über Facebook - gebe es für die Veröffentlichung des Ermittlungsstandes keine rechtliche Grundlage, mahnt Müller.

Egal, ob die Informationen offiziell veröffentlicht werden oder durch informelle Kanäle an die sozialen oder traditionellen Medien durchsickern: Sind sie einmal in der Welt, beziehungsweise im Netz, können sie ungeahnte Folgen oder Nebeneffekte haben. Sei es, dass Unschuldige zu Unrecht verdächtigt werden, sei es, dass die Justiz dem Staat entrissen wird. "Wer hinter den Lynch-Aufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen", sagte der Polizeigewerkschafter Bernhard Witthaut nach dem Emdener Mob. Ein 18-Jähriger ist im Mai 2012 bereits zu zwei Wochen Jugendarrest verurteilt worden. Ein zweiter junger Mann muss sich nun von Dienstag an für seinen Aufruf verantworten.

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