Prozess in Dessau:BGH prüft Freispruch nach Feuertod in der Zelle

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Ein afrikanischer Asylbewerber verbrannte 2005 in einer Arrestzelle in Dessau, der diensthabende Polizist wurde freigesprochen. Jetzt wird der Fall erneut verhandelt.

Der Fall um den in einer Arrestzelle in Dessau verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh im Januar 2005 beschäftigt weiter die Justiz. An diesem Donnerstag soll der Bundesgerichtshof in Karlsruhe den Freispruch eines Polizisten noch einmal prüfen - die Staatsanwaltschaft und drei Anwälte der Nebenklage waren in Revision gegangen. Sie sehen den Polizisten Andreas S. verantwortlich für den Tod des Mannes aus Sierra Leone.

Eine Demonstration im Juni 2007 zur Erinnerung an den verbrannten Afrikaner Oury Jalloh. (Foto: Foto: dpa)

Das Landgericht Dessau-Roßlau hatte den Polizeidienstgruppenleiter Andreas S. und einen Kollegen vor einem Jahr von einer Mitschuld am Tod des 23 Jahre alten Jalloh freigesprochen - obwohl der Vorsitzende Richter damals die Ermittlungen, widersprüchliche Aussagen von Polizisten als Zeugen sowie Schlamperei und Ignoranz von Behörden kritisiert hatte. Die beiden Polizisten waren wegen Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise fahrlässiger Tötung durch Unterlassen angeklagt gewesen.

Den Freispruch des zweiten Polizisten hatten Staatsanwaltschaft und Nebenklage damals mitgetragen und ebenso wie die Verteidigung beantragt. Ihm war vorgeworfen worden, bei Jallohs Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen zu haben.

Fragen zu dem Feuerzeug

Er selbst hatte zugegeben, nach einem Handgemenge mit dem stark alkoholisierten Jalloh sein Feuerzeug vermisst zu haben. Möglicherweise war es also sein Feuerzeug, mit dem Jalloh die Matraze in Brand gesetzt haben könnte.

Dass der Asylbewerber den Brand - obwohl er an Händen und Füßen an in Boden und Wand eingelassenen Stahlbügeln angekettet war - selbst entfacht haben könnte, bewiesen nachgestellte Versuche. Ein vom Gericht probeweise angeketteter Polizist schaffte es mühelos, ein Feuerzeug aus jeder beliebigen Hosentasche und sogar aus der Unterhose zu ziehen und die Matratze anzusengen, obwohl der Kunstoffbezug als schwer entflammbar ausgewiesen war. "Schwer entflammbar" heißt eben nicht feuerfest - man muss nur lange genug eine Flamme darunter halten.

Verschwörungstheorien und Diskussionen

Trotz mehrerer Gutachten konnte das genaue Geschehen nicht hundertprozentig geklärt werden. Verschwörungstheorien von Initiativen und Menschenrechtsorganisationen, auch afrikanischen, fallen in Sachsen-Anhalt auf fruchtbaren Boden: In keinem anderen Bundesland gab es in den vergangenen Jahren so viele Übergriffe auf Ausländer oder vermeintliche Linke.

Die Proteste gegen den Freispruch gründen vor allem auf die Frage, ob der diensthabende Polizist zu spät auf den Feueralarm aus der Zelle reagiert habe, und ob Jalloh hätte überleben können, wäre der Brand schneller gelöscht worden. Es ist eine Frage, die sich um Minuten, wenn nicht sogar Sekunden dreht.

Nach Feststellung eines Brandsachverständigen hatte der Feueralarm 90 Sekunden nach Entstehung des Brandes ausgelöst, 53 Sekunden dauere der Weg bei "zügigem Gehen" bis zur Zelle. Polizist S. habe allerdings erst reagiert, als auch ein zweiter Brandschutzmelder Alarm schlug. Er habe keinen Feuerlöscher mit in die Zelle genommen, die er frühestens nach vier Minuten und 50 Sekunden geöffnet haben soll.

Binnen Sekunden verstorben

Obduktionen ergaben allerdings, dass der Afrikaner offenbar nicht an einer Rauchvergiftung gestorben sein soll - sondern dass er mehrere Atemzüge lang sehr heiße Luft eingeatmet habe, was zu einem "inhalativen Hitzeschock", einem Tod binnen weniger Sekunden geführt haben könnte. Laut Gutachten lasse das die Vermutung zu, dass Jalloh innerhalb einer bis zwei Minuten nach Entstehen des Brandes gestorben sein soll.

Oury Jalloh war in Gewahrsam genommen worden, weil er alkoholisiert und unter Drogeneinfluss Frauen belästigt haben soll. Bei seiner Festnahme soll Jalloh randaliert haben. Ein Arzt erklärte ihn dennoch für gewahrsamstauglich und empfahl, ihn zu fixieren. Es habe die Gefahr der Selbstverletzung bestanden.

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