Prozess gegen Oscar Pistorius:Millionen richten, eine Frau fällt das Urteil

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Thokozile Masipa hatte ihr Urteil gegen Oscar Pistorius noch nicht verkündet, da riefen ihre Kritiker schon: War ja klar! Der Weiße ist wieder davongekommen! Das ist genauso falsch wie die Behauptung, der Prozess habe die Gräben in Südafrika zugeschüttet.

Von Lena Jakat

Sie wurde in Soweto geboren, in einem Township im Südwesten von Johannesburg - er in Sandton, heute eines der reichsten Viertel der Metropole. Sie ging für das Recht, ihren Beruf als Journalistin frei ausüben zu dürfen, auf die Straße, wurde verhaftet und in eine dreckige Gefängniszelle geworfen. Er wuchs in einer Familie auf, die ihn in seinen sportlichen Ambitionen rückhaltlos unterstützte und ihm half, seinen Traum trotz seiner Behinderung zu verwirklichen. Sie biss sich zehn Jahre lang neben ihrem Job als Reporterin durch ein Jurastudium, das sie im Alter von 42 Jahren abschloss. Er kämpfte sich an die sportliche Weltspitze heran - erst an die paralympische, dann an die olympische. Sie ist 66 Jahre alt, er 27. Sie ist schwarz, er ist weiß.

Dass Richterin Thokozile Masipa, erst die zweite schwarze Frau, die in Südafrika überhaupt ins Richteramt berufen wurde, über Oscar Pistorius richten würde, eine, schillernde Sportikone des Landes und Angehöriger einer kleinen, privilegierten Bevölkerungsschicht, sahen viele als Symbol dafür, wie sehr sich Südafrika seit Ende der Apartheid verändert hat.

"Es ist so toll, diese Frau von den staubigen Straßen eines Townships zu sehen, wie sie über diesen jungen weißen Mann richtet, der alles hatte", zitiert der Guardian eine frühere Kollegin Masipas. "Es macht mich stolz und ich sage meinen Kindern, dass man mit Entschlossenheit alles erreichen kann."

Weltweites Medienereignis

Vor etwas mehr als 20 Jahren noch wäre diese Konstellation undenkbar gewesen. Der Angeklagte war damals noch ein Kind, Masipa hatte gerade ihr Jura-Studium abgeschlossen. Niemand wollte sie - eine schwarze Frau - als Anwältin.

Das Gewicht dieses historischen Moments dürfte Masipa in den 43 Tagen des Mordprozesses gegen Oscar Pistorius, der seine Freundin Reeva Steenkamp getötet hat, ebenso gespürt haben wie die öffentliche Aufmerksamkeit. Selbst, falls man Berichten glaubt, wonach die Juristin jegliche Berichterstattung gemieden, weder ferngesehen noch Zeitung gelesen hat: Völlig freimachen vom Erwartungsdruck einer Öffentlichkeit, die jedes noch so kleine Detail des Prozesses verfolgt, konnte sie sich wohl nicht. Sie brauchte schließlich nur aus dem Fenster zu blicken, um an vielen Prozesstagen den enormen Menschenauflauf vor dem Gerichtsgebäude zu sehen. Anhänger des Angeklagten, Aktivisten, Journalisten, die wissen wollten, wie es für Pistorius weitergeht.

Mit der Entscheidung des Gerichts im Frühjahr, dass der Prozess gegen den Athleten live übertragen werden darf, nahm das größte Medienereignis in der Geschichte Südafrikas seinen Anfang. Das Medienforschungsinstitut Data Driven Insight (DDI) zählte für den 3. März, den ersten Tag des Verfahrens, fast 10 000 Veröffentlichungen über den Prozess - pro Stunde; Tweets und Postings in sozialen Netzwerken eingerechnet.

Bis Mittwoch wurden demnach weltweit 3,5 Millionen Tweets über den Fall abgesetzt. Ein neuer Radiosender wurde gegründet, der ausschließlich über den Prozess berichtete, Fernsehsender, Radiosender, Online-Medien berichteten live, ständig füllte der Fall die Schlagzeilen. Das Verfahren war Thema in Familien, Büros und Kneipen überall im Land. "Jeder wurde zum Rechtsexperten, zum Ermittler", sagte Barry Bateman Süddeutsche.de. Der Journalist hat jeden einzelnen Prozesstag im Gerichtssaal verfolgt und ein Buch über den Fall geschrieben. "Die Menschen verfolgten den Prozess im Fernsehen, fast wie einen Krimi."

Manche von ihnen mögen sich inzwischen befugt fühlen, die Richterin fachlich zu kritisieren. Und in vielen der zahllosen Gespräche über den Fall dürfte auch die Frage angeklungen sein, ob Oscar Pistorius als reichem, berühmtem Weißen Vorteile gewährt würden - nicht anders, als in Deutschland über den Prozess gegen Uli Hoeneß diskutiert wurde.

Urteil gegen Oscar Pistorius

Richterin Thokozile Masipa hat den Prozess nach Meinung von Beobachtern vorbildlich geführt.

(Foto: dpa)
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