Prozess:Emotional überfordert

Lesezeit: 3 min

Vor dem Gerichtssaal bekunden einige Menschen lautstark und mit Plakaten ihre Unterstützung für Gina-Lisa Lohfink. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

Explizites Videomaterial, Tränen und die Aussage des vermeintlichen Vergewaltigers: Der Prozess gegen das Model Gina-Lisa Lohfink bleibt bizarr. Und trotz allem hat das Verfahren in Berlin Symbolcharakter bekommen.

Von Jens Schneider, Berlin

Es kommt selten vor, dass ein Gericht das Geschehen einer vermeintlichen Tatnacht vier Jahre später auf Filmen betrachten kann. Aber in diesem Verfahren gibt es am Montag in Saal B 129 im Berliner Amtsgericht anschauliches Material, allzu anschauliches. Es ist von einer solch privaten Art, dass die Öffentlichkeit die Video-Sequenzen aus jenem Tag im Leben von Gina-Lisa Lohfink im Juni 2012 nicht zu sehen bekommen soll. Aber sie sind von Bedeutung für diesen Prozess, der klären soll, ob die einstige Kandidatin der TV-Show "Germany's next Topmodel" zwei Männer zu Unrecht angezeigt hat.

Die beiden jungen Männer hätten sie mit K.o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt, behauptet Lohfink. Aber die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen bald ein und verhängte einen Strafbefehl gegen Lohfink wegen falscher Anschuldigungen. Es habe sich um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehandelt. Lohfink muss sich vor dem Amtsgericht verantworten, weil sie den Strafbefehl nicht akzeptierte. Vor dem Gericht haben sich auch zu diesem dritten Prozesstag Frauen versammelt und bekunden lautstark Unterstützung für das Model. "Nein heißt Nein", rufen sie. Der Fall hat Symbolcharakter bekommen in der Debatte über ein strengeres Sexualstrafrecht, das der Bundestag im Juli beschlossen hat. Im Saal aber geht es um die Deutung der Bilder.

Am Richtertisch stehen Richterin Antje Ebner, die Staatsanwältin und die zwei Anwälte Lohfinks gemeinsam mit einem Gutachter und lassen sich die Filmsequenzen vorführen. Der Ton ist leise gestellt, damit man ihn nur vorne hört, nicht aber im Saal. Es ist das Bemühen um Diskretion in einer unfassbar indiskreten Sache. Drei Menschen, die sich kaum kannten, hatten kruden Sex, es wurde mit dem Handy gefilmt, die Bilder landeten später im Netz. Die Richterin schildert an diesem Morgen so neutral wie möglich, was sie sieht: Lohfink und die beiden Männer beim Geschlechtsverkehr, die Bewegungen des Models. Sie sagt, Lohfink lächelt, "ich sehe ein Lächeln." Dass sie sich einmal abwendet, einmal Oralverkehr verweigert, ihn dann doch ausübt, sich in einer anderen Situation zurücklehnt, die Arme nach hinten legt.

Der Anwalt Christian Simonis widerspricht immer wieder. "Sehen Sie das denn nicht, Frau Vorsitzende", ruft er aus und gibt sich empört, "eindeutiger geht es doch nicht!" Die Bilder zeigten klar, dass seine Mandantin zum Sex gezwungen worden sei. Von Freiwilligkeit könne keine Rede sein. Auch sei zu hören, dass Lohfink "Hör auf!" rief, und: "Nein". Damit hat sie laut Staatsanwaltschaft aber die Filmaufnahmen stoppen wollen.

Lohfink will sich diese Bilder nicht zumuten. Sie ist sitzen geblieben, hat den Blick abgewendet. Nun aber kommt ihr zweiter Anwalt zu ihr, und kurz darauf geht sie nach vorn, laut schluchzend. "Ich will das sehen, um zu sagen, dass ich das nicht wollte", ruft sie. "Es ist schlimm, was hier mit mir gemacht wird!" Sie schluchzt noch lauter, hört nicht mehr auf, bis für zehn Minuten abgebrochen wird. Die Richterin rügt den Anwalt, er hätte Lohfink diese Situation nicht zumuten dürfen: "Sehen Sie nicht, dass Ihre Mandantin emotional überfordert ist? Warum müssen Sie Ihre Mandantin so vorführen?"

Kurz vor diesem dritten Prozesstag meldete sich Sebastian C., einer der beiden Männer. Bis vor Kurzem war er für die Justiz unauffindbar, nun gab er ein Fernsehinterview, in dem er ankündigte, Gina-Lisa Lohfink wegen Verleumdung anzuklagen. Als Zeuge weist der 33-Jährige am Montag wie zuvor der andere beteiligte Mann alle Vorwürfe zurück. Nach seiner Darstellung war sie damals mit seinem Bekannten frühmorgens freiwillig in seine Wohnung gekommen. Da habe "unsere Nacht begonnen, in der wir zwölf Stunden lang Spaß hatten", sagt er. Das Model habe ihn anschließend sogar nach Mallorca einladen wollen, "auf Wolke sieben war sie." Er habe noch nie etwas mit K.o.-Tropfen zu tun gehabt. "Diese ganze Lüge muss endlich ein Ende finden", erregt er sich, er habe seinen Job verloren dadurch.

Ein Ende? Am Nachmittag zieht sich das Verfahren weiter in die Länge, die angekündigten Verleumdungsklagen lassen eine Fortsetzung erwarten.

© SZ vom 09.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: