Potsdam:Nicht eindeutig gefährlich für die Allgemeinheit

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Silvio S. hat zwei Kinder ermordet. Dass er dazu einen Hang habe, dafür spreche aber genauso viel wie dagegen, urteilte das Gericht. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Im Revisionsprozess gegen den Kindermörder Silvio S. verzichten die Richter vorerst auf die Sicherungsverwahrung.

Von Verena Mayer, Potsdam

Elias wäre heute zehn Jahre alt, Mohamed acht. Die beiden würden zur Schule gehen, Elias in Potsdam, Mohamed in Berlin. Beide wurden als lebhaft und umgänglich beschrieben, Mohamed hätte noch drei Geschwister. Doch die Jungen sind tot. Sie wurden 2015 entführt, sexuell missbraucht und ermordet, erst verschwand Elias, als er im Juli auf der Wiese vor dem Haus seiner Mutter spielte, drei Monate später dann Mohamed vom Gelände des Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo er mit seiner Familie und Hunderten anderen Flüchtlingen Schlange stand, um registriert zu werden.

Verantwortlich für die Verbrechen ist Silvio S., ein Nachtwächter aus einem Dorf in Brandenburg. Vor drei Jahren verurteilte ihn das Landgericht Potsdam zu lebenslanger Haft. Die Richter stellten zudem die besondere Schwere der Schuld fest, weshalb Silvio S. nicht nach 15 Jahren auf Bewährung freikommen kann. Seit Freitag ist klar, dass das Urteil gegen ihn nicht weiter verschärft wird. Im Revisionsprozess lehnt es das Landgericht Potsdam ab, zusätzlich die Sicherungsverwahrung für Silvio S. anzuordnen, zumindest vorerst. Man könne nicht eindeutig feststellen, dass er einen "Hang" habe, weitere schwere Straftaten zu begehen, heißt es in der Urteilsbegründung. Den aber muss man nachweisen, damit ein Täter auch nach verbüßter Haft nicht freikommt.

Silvio S., 36, sitzt da, wie er auch schon beim ersten Prozess dagesessen hat: schmal und kraftlos, die Arme in einander verkrampft. Im neuen Prozess ging es vor allem um seine Persönlichkeit. Der Bundesgerichtshof hatte moniert, dass sich die Richter 2016 nicht ausreichend damit beschäftigt hätten, wie menschenverachtend, mit welcher Akribie und Empathielosigkeit Silvio S. seine Verbrechen begangen habe - alles Belege für die Gefährlichkeit eines Täters und die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder zuschlägt.

Der Täter war schon immer ein Außenseiter und Opfer von Mobbing

Und so wurde seit Mai noch einmal das Leben von Silvio S. aufgerollt. Seit frühester Jugend war er ein Außenseiter, er wurde gemobbt und gehänselt, fand lange keine Arbeitsstelle. Mit Anfang 30 lebte er noch bei seinen Eltern und hatte nie eine Beziehung zu einer Frau gehabt. Die meiste Zeit saß er allein in seinem Zimmer und sah sich Gewaltpornos an. Und er spielte mit Kindern, der "einzigen Zielgruppe, die er aushalten konnte", wie der psychiatrische Gutachter sagte.

Seine Vorliebe für Kinder muss für sein Umfeld so offensichtlich gewesen sein, dass er den Spitznamen "Schmökel" bekam, wie der Brandenburger Schwerverbrecher, der mehrere Mädchen vergewaltigt hatte. Silvio S. schnitt aus Zeitschriften die Köpfe von Kindern aus, er bestellte im Internet Spielzeug und Puppen, die Kindern ähnelten. In seinem Auto wurden Knebel, Fesseln, Süßigkeiten und Medikamente zur Betäubung gefunden. Er mietete einen Schrebergarten, in dem er später Elias' Leiche vergrub, und notierte Dinge wie "Junge, Wald, Wohnwagen" oder "Mädchen, Messer", der Vorsitzende Richter spricht von "Regiezetteln". Er sagt, dass er Silvio S. für gefährlich halte.

Für einen "Hang" spreche aber genauso viel wie dagegen. So habe Silvio S. bis zu den Morden straffrei gelebt, er sei nicht durch Aggression oder Brutalität aufgefallen. Ähnlich sieht es der psychiatrische Sachverständige. Silvio S. habe eine Persönlichkeitsstörung und sich so weit von allen moralischen Normen entfernt, dass er dachte, er könne die Kinder, die er sah, "einfach mitnehmen". Auch habe er seine Taten relativ schnell hintereinander begangen. Er fand diese Fakten aber "zu dünn", um sich eindeutig auf einen "Hang" festzulegen.

Der richtige Umgang mit Sexualstraftätern bleibt schwierig

Und so wurde im Prozess vor allem deutlich, wie schwierig es ist, mit Sexualstraftätern umzugehen. Da eine Sicherungsverwahrung nur in Ausnahmefällen nachträglich angeordnet werden kann, müssen die Gerichte bereits Jahre und Jahrzehnte, bevor ein Täter freikommt, über dessen Gefährlichkeit entscheiden. Das setzt aber Voraus, dass man über den Täter und seine psychische Verfasstheit Bescheid weiß.

Doch Silvio S. hat vor Gericht geschwiegen. Und in der JVA, in der er untergebracht ist, nimmt er zwar an Therapieangeboten wie Gruppengesprächen teil, über seine Taten und seine Motivation hat er jedoch nichts gesagt. Die Richter in Potsdam setzten deswegen am Freitag einen Vorbehalt: Sechs Monate vor einer möglichen Haftentlassung muss ein Gericht erneut entscheiden, ob Silvio S. gefährlich und eine Sicherungsverwahrung nötig ist, um die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen.

Auch die Mutter von Elias sitzt im Gericht. Eine schmale, blasse Frau, die noch immer nicht weiß, wann und warum ihr Kind sterben musste. Von Silvio S. bekam sie kurz nach der Tat im Juli 2015 eine makabre Postkarte: "Todesursache: Ersticken. Sorry" stand darauf. "Das Leid, das sie den Opfern und ihren Familien angetan haben, ist an niemandem spurlos vorübergegangen", sagt der Richter. Silvio S. schweigt.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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