Mutmaßlicher Messerstecher:20 Mal beschuldigt, drei Mal verurteilt

Mutmaßlicher Messerstecher: Blumen und Kerzen erinnern am Bahnhof Brokstedt an die Opfer der Messerattacke. Eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger starben.

Blumen und Kerzen erinnern am Bahnhof Brokstedt an die Opfer der Messerattacke. Eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger starben.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Der Tatverdächtige von Brokstedt hat auch in Nordrhein-Westfalens Justiz Spuren hinterlassen: Drei Mal sprachen Richter ihn schuldig - aber im Gefängnis saß er dort nie.

Die Spuren des mutmaßlichen Messerstechers von Brokstedt werden immer länger: Allein während der sechs Jahre, die der staatenlose Palästinenser Ibrahim A. seit seiner Ankunft in Deutschland 2015 in Nordrhein-Westfalen verlebte, war er nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in mindestens 20 Ermittlungsverfahren verwickelt. Der heute 33-jährige Mann, der vorige Woche in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein mit einem Messer zwei Menschen getötet und fünf weitere verletzt haben soll, wurde in NRW dreimal rechtskräftig verurteilt und zudem wiederholt der Körperverletzung beschuldigt.

Während einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Düsseldorfer Landtags am Dienstag bestätigte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), das Amtsgericht Euskirchen habe Ibrahim A. in drei Fällen verurteilt. 2015 musste er nach einem "Diebstahl geringfügiger Sachen" eine Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen entrichten.

Ein Jahr später verurteilte ihn dasselbe Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsentzug. Allerdings setzte der Euskirchener Richter die Strafe zur Bewährung aus. Ibrahim A. hatte einen Bekannten während eines Streits mit einem scharfkantigen Gegenstand im Gesicht verletzt. 2018 folgte die dritte rechtskräftige Verurteilung, ebenfalls in Euskirchen: 90 Tagessätze Geldstrafe wegen Drogendelikten.

Mehrere andere Ermittlungsverfahren gegen A. - vor allem wegen Bedrohung und Körperverletzung - wurden in Nordrhein-Westfalen hingegen eingestellt. 2018 prüften die Behörden auch Vorwürfe, A. habe sich der sexuellen Nötigung oder gar einer versuchten Vergewaltigung schuldig gemacht. Doch auch dieses Verfahren endete ohne Anklage.

Ibrahim A. war erst wenige Tage vor dem Attentat im Regionalzug nach einjähriger Untersuchungshaft aus der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er wegen eines Gewaltdelikts - ebenfalls mit einem Messer - einsaß. Der 33-Jährige war zwar zu einem Jahr Haft verurteilt worden, das Urteil aber noch nicht rechtskräftig, weil er Berufung eingelegt hatte. Als die Länge seiner Untersuchungshaft die vorgesehene Haftstrafe zu überschreiten drohte, wurde er freigelassen.

Die Hamburger Bürgerschaft befasst sich am Mittwoch ebenfalls mit dem Fall. Justizsenatorin Anna Gallina hatte am Montag Vorwürfe am Umgang ihrer Behörde mit dem Tatverdächtigen zurückgewiesen. "Wir haben alle Maßnahmen unternommen, die vorgesehen sind", sagte die Grünen-Politikerin dem NDR. Es sei alles passiert, was laut Resozialisierungsgesetz mit Untersuchungshäftlingen passieren solle. Noch am Tag seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder sei der wohnungslose 33-Jährige im Winternotprogramm der Stadt angekommen. Es habe zudem eine Perspektivberatung gegeben.

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