Norwegen:Walverwandtschaften

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"Hvaldimir", das klingt fast wie Wladimir - Putin. (Foto: Jorgen Ree Wiig/Reuters)

Er vollführt kleine Kunststückchen, lässt sich tätscheln - und sollte sogar einen Namen erhalten: Warum der weiße Beluga, der unter Verdacht steht, ein russischer Spionagewal zu sein, vielleicht doch ein Therapiewal ist.

Von Kai Strittmatter

Dass er aus Russland kommt und sich heimlich über die Grenze in norwegische Gewässer gestohlen hat, bezweifelt niemand mehr. Einen "Spionagewal" hatten sie den weißen Beluga zuerst getauft, der da vergangene Woche mit einem Mal inmitten norwegischer Fischer auftauchte, und der seither ganz offensichtlich von den Norwegern ebenso wenig genug kriegen kann wie die von ihm.

Schnell nämlich - Spionage hin oder her - entwickelte sich eine regelrechte Liebesbeziehung zwischen den Norwegern und ihrem mysteriösen Gast. Der Wal besucht immer wieder die Küste am Nordkap, schwimmt in den Hafen des kleinen Fischerdorfes Tufjord und vollführt kleine Kunststückchen für die Bewohner, lässt sich tätscheln oder taucht Ringe vom Meeresboden herauf.

Der staatliche Rundfunksender NRK berichtet seither fast täglich, und ließ sein Publikum in einer großen Umfrage über einen Namen für den Beluga abstimmen. Seither heißt der Wal "Hvaldimir" (knapp dahinter lagen "White Russian" und "Joar", das ist der Vorname seines Retters, des Fischers Joar Hesten, der den Beluga von dem Gurtzeug befreit hatte, das wohl in Russland von Menschenhand umgelegt worden war, und an dem noch die Halterung einer Gopro-Kamera hing).

Womöglich heißt er Semion

Das heißt: zumindest war das sein Name bis zum gestrigen Dienstag. Da nämlich wartete die Fischerzeitung Fiskeribladet mit einer neuen Wendung in der Arktis-Saga auf. "Es kann nicht mehr ausgeschlossen werden", enthüllte das Blatt nämlich, "dass 'Hvaldimir' in Wirklichkeit 'Semion' heißt". Und dass er kein Spionagewal ist, sondern ein Therapiewal. Einer, der in Russland mit benachteiligten Kindern gearbeitet hat.

Das wäre nun schon eine Wendung, die sich kein Hollywood-Drehbuchschreiber kitschiger hätte ausdenken können, für die das Fiskeribladet allerdings einen Kronzeugen aufbietet: Morten Vikeby war einst norwegischer Konsul in Murmansk, vor allem aber war er auch einmal Reporter für die Fischereizeitung gewesen - und hatte als solcher tatsächlich am 29. September 2008 eine große Geschichte über ein russisches Wassersportzentrum zwischen Murmansk und Karelien geschrieben. Das Zentrum hatte damals einen Belugawal aufgepäppelt, der zuvor offenbar von angriffslustigen Robben übel zugerichtet worden war.

Ausbilder dort tauften den Wal "Semion" und brachten ihm ein paar Tricks bei. Zuerst zur Belustigung ihrer Kunden, sehr schnell aber kamen Schüler und Kinder mit psychischen Störungen angereist und der Besuch beim Beluga wurde zum Teil therapeutischer Behandlungen. "Ich habe den Wal wiedererkannt", sagte Morten Vikeby seiner alten Zeitung. Norwegens offizielle Walbeobachter begrüßten in einer ersten Reaktion die neue Theorie, die aus einem feindlichen Spion einen Kindertherapeuten macht.

Niemand vermisst ihn

Egal, ob nun Hvaldimir oder Semion: Norwegens Behörden bleiben bei ihrer Haltung, dass der Wal keine Küstenattraktion auf Dauer bleiben soll. Wie NRK berichtete, wird unter anderem überlegt, den Beluga nach Island zu transportieren, dort gibt es das weltweit erste von Menschen eingerichtete Walrefugium auf hoher See, dorthin sind auch gerade zwei aus einem chinesischen Delfinarium befreite Belugas unterwegs.

Die Nähe zu Menschen sei stets unnatürlich für einen Wal, sagte Meeresbiologe Wiig NRK: "Solche Wale können auch müde und dann aggressiv werden. Außerdem kann er durch Boote verletzt werden". Allerdings koste ein solcher Transport viel Geld, die Finanzierung sei noch nicht klar. Ex-Konsul Vikeby findet derweil, der Wal solle zurück in das russische Sport- und Therapiezentrum. Norwegische Medien merkten allerdings an, dass bislang auch aus Russland niemand einen Belugawal als vermisst gemeldet hat, auch keinen Semion.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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